Parlamentswahlen:Israel steuert auf Einheitsregierung zu

  • Israel steht nach der Wahl vor der gleichen Situation wie im April: Es herrscht ein Patt zwischen Premierminister Benjamin Netanjahu und seinem Herausforderer Benny Gantz.
  • Ohne die Partei von Avigdor Lieberman kann Netanjahu keine Regierung bilden - und diese hat ihm bereits eine Absage erteilt.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Unterschiedlicher hätten die Reaktionen nicht ausfallen können: Als Israels Premierminister Benjamin Netanjahu um 3.30 Uhr in der Nacht vor seine Anhänger bei der Likud-Partei trat, versprach er: "Ich werde weitermachen, dem Staat Israel und dem Volk zu dienen." Er werde noch am Mittwoch mit rechten Parteien Gespräche über eine Koalitionsbildung führen, um eine "antizionistische Regierung" zu verhindern. Sein Herausforderer Benny Gantz vom blau-weißen Bündnis kündigte an, "eine breite nationale Einheitsregierung bilden" zu wollen und führte erste Gespräche mit Vorsitzenden linker Parteien.

Nach Auszählung eines Teils der Stimmen nach der Parlamentswahl in Israel blieb es auch am Mittwochmorgen bei einer Pattsituation zwischen Netanjahus rechtsnationalem Likud und dem zentristischen Parteienbündnis Blau-Weiß. Aber nach keiner der Projektionen kann Netanjahu mit seinem Likud, der Partei Neue Rechte und den ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum eine Koalition bilden - ohne Avigdor Liebermans nationalistische Partei Unser Haus Israel. Auch Blau-Weiß und die linken und arabischen Parteien haben keine Mehrheit.

Damit zeichnet sich das gleiche Bild ab wie nach der Wahl im April. Lieberman kommt wieder die Rolle des Königsmachers zu. Damals hatte er durch seine Weigerung, in eine von Netanjahu geführte Koalition einzutreten, die Neuwahlen ausgelöst. Aus der zweiten Wahl binnen fünf Monaten geht Lieberman gestärkt hervor. Mit seiner Forderung, der Einfluss der Religion auf die Politik müsse zurückgedrängt werden, hat er Wählerstimmen jenseits seiner traditionellen Klientel, der Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, gewonnen.

Lieberman war bereits kurz nach Schließung der Wahllokale vor seine Anhänger getreten und hatte verkündet, er bleibe bei dem, was er von dem Urnengang gesagt habe: Er sei für eine Einheitsregierung aus seiner Partei, Likud und Blau-Weiß. Selbst wenn nur die beiden anderen Parteien eine solche Regierung bilden, werde er dies unterstützen. "Das Land befindet sich in einer Notsituation", so seine Begründung.

Der einstige Verbündete kann damit über Netanjahus politisches Ende entscheiden. Bleibt auch Gantz bei seinem Versprechen, keine Regierung mit Netanjahu einzugehen, dann wäre die Ära Netanjahu beendet. Für Netanjahu war es auch deshalb eine Schicksalswahl, weil er versuchen wollte, nach einer Regierungsbildung ein Immunitätsgesetz durchzusetzen, das ihm ein Gerichtsverfahren erspart. Nach einer Anhörung am 2. Oktober wird entschieden, ob er in drei Korruptionsfällen angeklagt wird.

Netanjahu hat dem Land politischen Stillstand beschert

Bei Netanjahu ging es im Wahlkampf deshalb um mehr als den Posten des Premierministers. Er hat im Buhlen um Stimmen alle Hemmungen fallen lassen. Netanjahu hat die Annexion von Teilen des Westjordanlandes und zuletzt sogar der jüdischen Enklave in der von mehr als 200 000 Palästinensern bewohnten Stadt Hebron versprochen. Dies wäre der Todesstoß für eine Zweistaatenlösung und damit für einen palästinensischen Staat. Er hat arabische Wähler des Betrugs bezichtigt und Regeln gebrochen, indem er am Wahltag Umfragen veröffentlicht und Interviews gegeben hat. Sogar Facebook hat ihn gesperrt. Seit Monaten attackiert er Polizei und Justiz, weil sie es gewagt haben, gegen ihn wegen Korruptionsvorwürfen zu ermitteln und ihm nun Anklagen drohen. All das hat ihm nichts genützt, aber die Demokratie beschädigt. Außerdem hat es dem Land politischen Stillstand beschert durch einen zweiten Wahlkampf.

Es hat sich für ihn auch nicht gelohnt, dass er noch einmal Neuwahlen vom Zaun gebrochen hat, statt dem im April nur um 15 000 Stimmen unterlegenen Zweitplatzierten Gantz die Chance zur Regierungsbildung zu überlassen. Nun befindet sich Netanjahu in der gleichen Situation wie im April, allerdings hat sich die Ausgangslage für ihn sogar verschlechtert, weil sein Likud Stimmen verloren und Liebermans Partei zugelegt hat. Auch die arabischen Parteien, die diesmal wieder geeint als gemeinsame Liste antraten, gehen gestärkt aus der Wahl hervor und dürften die drittstärkste Kraft in der Knesset werden. Netanjahus heftige Angriffe auf die arabischen Israelis, die ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen, dürften sogar zur Mobilisierung beigetragen haben. Noch in der Wahlnacht setzte er seine Attacken fort.

Das Votum in Israel zeigt, wie gespalten das Land ist, und Netanjahu hat diese Entwicklung noch verstärkt. Dass die erst vor einem Dreivierteljahr entstandene Partei Blau-Weiß nun zum zweiten Mal gleichauf mit dem Likud liegt, zeugt vom Wunsch vieler Israelis nach einer Alternative zu Netanjahu. Gantz hat keinen feurigen Wahlkampf geführt, der ehemalige Armeechef verkörpert aber für viele den Typus eines anständigen Politikers. In der Sicherheitspolitik ist Gantz zum Teil für ein schärferes Vorgehen als Netanjahu. Auch er will das Jordantal im Westjordanland unter israelischer Kontrolle behalten, aber mit den Palästinensern zumindest Verhandlungen über eine Lösung des seit Jahrzehnten dauernden Konflikts starten.

Damit läuft alles auf eine Einheitsregierung als einzig mögliche Regierungsform zu, um eine dritte Wahl in kurzer Folge zu verhindern. Eine große Koalition gab es schon einmal nach der Wahl 1984, als weder die Arbeitspartei noch der Likud eine Mehrheit erringen konnten. Schimon Peres und Jitzchak Schamir teilten sich damals die Amtszeit des Premiers auf. Sollte Gantz trotz bisheriger Aussagen Netanjahu akzeptieren und mit ihm ein Rotationsmodell vereinbaren, so wird er ihm aber ein Immunitätsgesetz verweigern. Dann dürften die Gerichte über das politische Schicksal des derzeitigen Premierministers entscheiden. Sein Ziel, längstdienender Regierungschef Israels zu werden, hatte Netanjahu bereits im Juli erreicht.

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