Tabubruch:Falsche Töne

Weil Wagner-Musik im Hintergrund erklang, muss eine Bank in Israel ihren TV-Spot zurückziehen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Die israelische Bank Discount hat sich ihren neuen Werbeauftritt einiges kosten lassen. Als Gesicht der Kampagne wurde Rotem Sela gewonnen, die äußerst populär ist im Land als Modell und Schauspielerin. Die Botschaft sollte vom tollen Kundenservice des Geldinstituts künden. Doch kaum waren in der vergangenen Woche die ersten Fernsehclips gesendet worden, erhob sich Protest mit Pauken und Trompeten. Der Grund: Als Hintergrundmusik waren Klänge von Richard Wagner zu hören. Die Folge: Der Werbespot wurde zurückgezogen und mit neuer Musik unterlegt.

Die Verantwortlichen bei der Bank ebenso wie bei der zuständigen Werbeagentur versicherten der Wirtschaftszeitung Globes sogleich, dass ihnen die Herkunft der Musik nicht bekannt gewesen sei. Dies jedoch wird ihnen nicht als Banausentum ausgelegt, sondern als hochgradige Unsensibilität. Ein Sprecher der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem sprach von einem "Fehler" und forderte, dass man "respektvoll mit den Emotionen umgehen muss, die durch Wagners Musik ausgelöst werden".

Die Werke des 1883 verstorbenen deutschen Komponisten sind in Israel seit jeher mit einem inoffiziellen Bann belegt. Dabei geht es nicht um seine künstlerische Leistung, sondern um seinen Antisemitismus sowie um seine Verehrung und Vereinnahmung durch die Nazis. Der Yad-Vashem-Sprecher nennt Richard Wagner "Hitlers spirituellen Vater", für viele in Israel ist Wagners Musik bis heute eng mit dem Holocaust verwoben.

Der Wagner-Bann geht zurück auf die Zeit vor der Staatsgründung Israels. 1938 strich der Vorläufer des heutigen Israel Philharmonic Orchestra Wagner aus dem Programm, als Reaktion auf die Pogromnacht in Deutschland. Zuvor hatte das Orchester zwar seine Werke gespielt, danach aber war die Boykott-Tradition kaum noch zu brechen.

Versucht worden ist dies bis heute immer wieder von prominenten Dirigenten, die Mensch und Werk, also Politik und Musik zu trennen versuchten. Zubin Mehta löste 1981 einen Skandal aus, als er mit den Israelischen Philharmonikern in Tel Aviv eine Wagner-Zugabe wagte. Daniel Barenboim erging es 20 Jahre später bei einem Gastspiel seiner Berliner Staatskapelle in Jerusalem nicht anders. Und als 2011 der österreichisch-jüdische Dirigent Roberto Paternostro mit dem Israel Chamber Orchester in Bayreuth das Siegfried-Idyll spielte, bekam er in Deutschland zwar Ovationen vom Publikum und später einen Echo-Klassik-Preis. In Israel aber gab es Drohungen und eine Diskussion um Fördergelder für das Orchester.

Wagner in der Werbung ist vor diesem Hintergrund also schwer vorstellbar in Israel - auch wenn es Menschen wie Jonathan Livny gibt, die den Eklat "idiotisch" finden. Der Anwalt und Sohn eines aus Deutschland stammenden Holocaust-Überlebenden hat schon 2010 in Jerusalem eine "Wagner-Gesellschaft" gegründet. Seither unternahm er zahlreiche Anläufe, in Israel jenseits der öffentlichen Förderpfade ein Wagner-Konzert zu organisieren. Bislang vergeblich, aber Livny will nicht aufgeben. "Im Augenblick ist Covid noch stärker als Wagner", sagte er der SZ, "aber für die Zeit danach planen wir ein Konzert in einem Kibbuz nahe Tel Aviv."

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