Benjamin Netanjahus neue rechts-religiöse Regierungskoalition hat angekündigt, tiefgreifende politische Veränderungen in Israel vorzunehmen. Zehntausende demonstrieren am Wochenende gegen die geplante Justizreform. Mit Sorge schauen derzeit viele politische Beobachter nach Jerusalem. Auch der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern steht womöglich vor einer weiteren Eskalation. Ein neues - bisher nur auf Englisch vorliegendes - Buch kann hier vielleicht als Wegweiser dienen.
Eric Alterman, angesehener Professor für Englisch und Journalismus an der City University von New York und bekannter politischer Journalist, hat seine Analyse der Entwicklung des Verhältnisses der amerikanischen Juden zum Zionismus, zu Israel und zum Nahostkonflikt gewidmet. In diesem Verhältnis gibt es zwar - anfangs vor allem wegen des Holocaust - eine starke Tendenz zur Identifikation mit Israel, aber auch Schwankungen und Brüche. Dass amerikanische Juden gleichwohl erheblichen Einfluss auf die Nahostpolitik der USA nehmen, belegt Alterman durchgängig. Das beginnt mit dem "Jewish vote", das sich bei weit überdurchschnittlicher Wahlbeteiligung auf die großen Städte konzentriert und deshalb knappe Rennen entscheiden kann. Jimmy Carter und George H. W. Bush, bis zu Trump die einzigen Präsidenten der Nachkriegszeit, die nicht wiedergewählt wurden, hatten für eine Zweistaatenlösung weitreichende Konzessionen in der Siedlungsfrage gefordert; ein deutlicher Rückgang der jüdischen Wahlstimmen war mit ein Grund für ihre Niederlage.
Einige US-Präsidenten beschwerten sich
Besonders zu Buche schlagen die mediale Diskursmacht, zu der - wie Alterman ausgiebig dokumentiert - ein großzügig eingesetzter und oft rufschädigender Antisemitismusvorwurf gehört, und finanzielle Ressourcen amerikanischer Juden. Das gilt vor allem für die Kongresswahlen in den USA, in denen die Kandidatinnen und Kandidaten auf große Finanzmittel angewiesen sind. Hier geben nicht immer, aber doch immer wieder mal Gelder von großen jüdischen Organisationen den Ausschlag. Auch die Republikanische Partei, die die Demokraten als Hauptstütze Israels im Nahostkonflikt abgelöst hat, profitiert davon. Alterman zitiert wiederholt amerikanische Präsidenten, die sich über den Einfluss der Israel-Lobby im Kongress beklagen, der ihre Handlungsfreiheit einschränkt, weil er sich konstant zum Fürsprecher israelischen Widerstands gegen Kompromisse macht.
Alterman wendet sich nicht grundsätzlich gegen den Begriff "jüdische Lobby", begründet aber ausführlich, warum er zu kurz greift. So sind es nicht allein reiche jüdische Geschäftsleute oder gut ausgestattete jüdische Organisationen, die die USA bedingungslos an Israels Seite halten wollen. Mindestens ebenso wichtig ist die christliche Rechte, rein zahlenmäßig viel stärker und inzwischen eine zentrale Wählerklientel der Republikaner. Für die große Mehrheit der Evangelikalen steht den Juden deshalb das ganze Palästina zu, weil Gott es ihnen geschenkt hat und weil sie dort den Platzhalter spielen müssen bis zum "Jüngsten Gericht". Einen weiteren Teil der Pro-Israel Lobby bilden neokonservative Intellektuelle, keineswegs alle Juden. Die Verantwortung für den Irak-Krieg liegt zwar bei George W. Bush, Dick Cheney und Donald Rumsfeld. (Hier grenzt sich Alterman von der bekannten Mearsheimer/Walt Studie von 2007 über "Die Israel-Lobby und die amerikanische Außenpolitik" ab, der er ansonsten in vielem zustimmt und die er gegen die massiven Antisemitismusvorwürfe in Schutz nimmt.) Aber die Neokonservativen, die auch in der Regierung und in Thinktanks vertreten waren, haben die Diskussion in diese Richtung gelenkt und teilweise sogar Pläne entworfen, nach denen nicht nur Saddam Hussein, sondern auch die Regierungen von Syrien, Tunesien, Iran und in Gaza gewaltsam beseitigt werden sollten.
Jitzchak Rabin klagte über einseitige Einflussnahme
Nicht einmal der Begriff "Israel-Lobby" trifft den Kern der Sache; eigentlich müsste es "Pro-Likud-Lobby" heißen. Alterman erinnert daran, dass sich Ministerpräsident Jitzchak Rabin einmal direkt beim American Israel Political Action Committee (AIPAC) darüber beschwert hat, dass es immer nur die Positionen der israelischen Rechtsparteien, also vor allem des Likud, stütze und ihm damit ins Handwerk pfusche. Was die USA selbst betrifft, so reicht das Spektrum der politisch organisierten Juden insgesamt von ganz rechts bis ganz links. Und es gibt liberale Gruppen wie zum Beispiel J Street, die sich weiterhin entschieden für eine Zweistaatenlösung einsetzen; aber sie können mit den rechtskonservativen Organisationen nicht konkurrieren. AIPAC hat bei den jüngsten Kongresswahlen vielfach Trump-Anhänger politisch und finanziell gefördert. Darin, dass die mächtigen jüdischen Pro-Israel-Gruppen gar nicht das amerikanische Judentum repräsentieren, das in Nahost-Fragen sehr viel moderater ist, sieht Alterman ein großes Problem für die Demokratie in den USA. Und die Spaltungen in dieser Bevölkerungsgruppe nehmen zu, was sich bis in die Demokratische Partei hinein auswirkt. Auch in den Medien etablieren sich mehr kritische Stimmen.
Eric Alterman: We are not one. A history of America´s fight over Israel. Basic Books, New York 2022. 512 Seiten, 35 Dollar.
(Foto: Basic Books)Als einen besonders interessanten Autor erwähnt Alterman Peter Beinart mit seinem kleinen, aber feinen Magazin Jewish Currents. Beinart hat sich vom überzeugten Zionisten zu einem scharfen Kritiker der jüdischen Führung in den USA entwickelt und befürwortet seit Längerem einen binationalen Staat im ganzen ehemaligen Palästina. Für die jüngeren Juden in den USA hat sich die Bedeutung Israels deutlich verringert, viele wenden sich sogar ganz von Israel ab. An den Universitäten unterstützen erstaunlich viele jüdische Studierende die BDS-Bewegung. Israel, auch die Jugend dort, tendiert immer weiter nach rechts, das jüdische Amerika aber bleibt mehrheitlich progressiv liberal.
Altermans kritische, aber faire 500-seitige Darstellung, in die 40 Jahre Beschäftigung mit dem Thema eingegangen sind, unterscheidet sich wohltuend von der groben Einseitigkeit und Polemik in vielen amerikanischen Debatten über Israel und den Nahost-Konflikt, die es in Ansätzen freilich auch in Deutschland gibt. Dass die USA ein hohes Maß an Mitverantwortung für die Besatzung und Israels offensive Siedlungspolitik tragen, ergibt sich zwingend aus Altermans Analysen. Trotz vieler gegenteiliger Verlautbarungen nimmt Washington letztlich alles hin und unterstützt Israel massiv wirtschaftlich wie militärisch, und zwar ohne Auflagen.
Gert Krell ist emeritierter Professor für Internationale Beziehungen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.