Israel und die UN-Mitgliedschaft der Palästinenser:Mond aus weißem Käse

Israels Ministerpräsident Netanjahu hält sich für einen Zionisten, doch seine Politik macht die Juden zur Minderheit im eigenen Land. Die intellektuelle Elite fordert die Anerkennung der palästinensischen Unabhängigkeitserklärung - und kann nur hoffen, dass die Wähler sich überzeugen lassen.

Yehuda Bauer

Der Zionismus, das heißt die jüdische nationale Bewegung, hat immer ein völkerrechtlich anerkanntes politisches Gebilde angestrebt, das eine große Mehrheit von Juden beherbergt und der nichtjüdischen Minderheit reale und nicht nur formelle Gleichberechtigung garantiert.

Polarisierender Regierungschef: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu

Nach Meinung vieler israelischer Intellektueller sollte die Regierung um Ministerpräsident Netanjahu Palästina als unabhängigen Staat anerkennen.

(Foto: dpa)

So etwas hatte sich bei uns in Israel, gewiss mit Schwierigkeiten, bis zum Krieg von 1967 entwickelt. In den Grenzen von 1967 leben heute circa 80 Prozent Juden und 20 Prozent Nichtjuden, hauptsächlich Palästinenser. Unsere jetzige Regierung behauptet aber, dass die damaligen Grenzen - auch mit einem beiderseitig anerkannten Gebietsaustausch, so wie es nicht nur die Palästinenser, sondern auch die Amerikaner und die meisten Europäer wollen - nicht verteidigt werden könnten.

Doch von diesen Grenzen aus besetzte Israel 1967 nicht nur das Westjordanland und den Gaza-Streifen, sondern auch den Sinai und im Norden die Golanhöhen. Aber Grenzen sind für Raketen aus Gaza, dem Libanon oder aus Syrien sowieso völlig irrelevant. Sicherheit kann nicht durch Grenzen, sondern nur durch Frieden garantiert werden.

Eine hochinteressante Metamorphose

Die Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu verfolgt dennoch das Ziel, alle Gebiete zwischen Mittelmeer und dem Jordan entweder direkt durch jüdische Siedlungen oder indirekt durch die Kontrolle einer palästinensischen, sogenannten Autonomie zu beherrschen. Praktisch gesehen ist das Ergebnis ein binationaler, von Israel geleiteter Staat.

Ob darin die Palästinenser 45 Prozent oder 55 Prozent der Bevölkerung ausmachen, ist belanglos. Das jüdische Volk wird, wenn es dabei auf Dauer bleiben würde, dadurch seine mit Mühe und Blut errungene Unabhängigkeit in einem mehrheitlich jüdischen Staat aufgegeben haben, um eine koloniale Herrschaft über ein anderes Volk herzustellen. Das ist eine Politik, die nur zu permanentem und blutigem Streit führen kann.

Benjamin Netanjahu ist kein Pragmatiker oder ein Opportunist, sondern ein nationalistischer, fundamentalistischer Ideologe. Er glaubt wirklich und ehrlich daran, ein radikaler Zionist zu sein. Aber er ist es nicht. Er und seine rechtsgerichtete Regierung sind radikale Anti-Zionisten - an sich eine hochinteressante Metamorphose. Denn es ist nicht im jüdischen Interesse, dass zwischen dem Meer und dem Jordan ein von Israel beherrschtes Gebiet entsteht, das nicht mehrheitlich von Juden bevölkert ist.

Der Nahostkonflikt kann nur gelöst werden, wenn zwei unabhängige Nachbarstaaten miteinander einen Frieden aushandeln. Deshalb sollte Israel als Erstes einen palästinensischen Staat anerkennen, zusammen mit anderen Staaten, besonders auch den europäischen - und damit ist auch Deutschland gemeint.

Abbas ideologische Einstellung ist uninteressant

Netanjahus Regierung verlangt, die Palästinenser sollen den jüdischen Charakter Israels anerkennen. Warum müssen wir denn die Zustimmung des palästinensischen Premiers Mahmud Abbas haben, um sicher zu sein, dass Israel ein jüdischer Staat ist? Es stimmt zwar: Die meisten palästinensischen Politiker weigern sich anzuerkennen, dass die Juden ein Volk, eine Ethnie, eine Nationalität sind. Warum soll das uns aber interessieren?

Unsere Nachbarn wollen glauben, dass der Mond aus weißem Käse besteht, wenn sie behaupten, die Juden seien kein Volk, sondern eine Religion. Statistisch gesehen wissen wir heute, dass eine Mehrheit der Juden nicht religiös ist. Diese Palästinenser wollen mit dem "israelischen Volk" Frieden schließen. Es gibt kein israelisches Volk, sondern israelische Staatsbürger, die entweder Juden sind oder Nichtjuden, eben mehrheitlich Palästinenser.

Doch solange Präsident Abbas mit uns Israelis, wie auch immer er uns versteht, Frieden schließen will, ist seine ideologische Einstellung zu Juden uninteressant. Aber unsere Regierungspolitiker müssen unbedingt die palästinensische Bestätigung bekommen, dass sie wirklich jüdisch sind. Offenbar leiden sie an einer Identitätskrise, die vielleicht am besten durch Psychologen zu lösen wäre.

Eine Minderheit ist für die Anerkennung Palästinas

Die palästinensische Hamas, die den Gaza-Streifen beherrscht, strebt die Vernichtung Israels als jüdischen Staat an, und das kann nur durch einen genozidalen Massenmord geschehen. Hamas ist also eine mörderische und antisemitische Bewegung, die Tausende gegen die israelische Bevölkerung gerichtete Raketen auf die Grenzgebiete abgefeuert hat. Der Staat Israel hat das Recht und auch die Verpflichtung gegenüber unseren Bürgern, sich notfalls mit Waffen zu verteidigen.

Erdogan setzt auf Drohgebärden

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan: Israel befindet sich in einer bitteren Kontroverse mit der Türkei.

(Foto: dpa)

Doch hat der letzte Gaza-Krieg wieder gezeigt, dass man die Hamas mit militärischer Gewalt allein nicht besiegen kann, auch nicht mit einer Blockade, denn das führt nur zur Identifikation der dortigen Einwohner mit der Diktatur der Fundamentalisten. Akademische Untersuchungen haben gezeigt, dass im Gegenteil offener Warenaustausch und überhaupt offene wirtschaftliche Kontakte eine Diktatur schwächen - denn dann haben die Einwohner etwas zu verlieren, was jetzt nicht der Fall ist.

Bittere Kontroverse im Namen der nationalen Ehre

Doch ist unsere jetzige Regierung für logische Argumente leider nicht zugängig, was sich auch in der Weise zeigt, wie sie uns in einen völlig unnötigen Streit mit der Türkei verwickelt hat. Ja, es stimmt schon, der türkische Versuch, die Blockade gegen Gaza zu brechen, war eine Provokation, und die Provokateure griffen die israelischen Soldaten an; und diese reagierten darauf, unnötigerweise, indem sie neun Türken erschossen.

Auf so etwas reagiert man mit einer Entschuldigung - es tut uns leid, trotz der Provokation, und wir werden den Familien Entschädigungen zahlen. Stattdessen hat uns Netanjahu in eine unsere Existenz bedrohende, bittere Kontroverse verwickelt. Im Namen unserer nationalen Ehre.

Ich bin mir dessen bewusst, dass die Hunderte Akademiker, ehemaligen Armee- und Polizeioffiziere, Künstler, ehemaligen Diplomaten, Schriftsteller, die mit mir den Aufruf zur Anerkennung einer palästinensischen Unabhängigkeitserklärung unterschrieben haben, eine Minderheit der israelischen Gesellschaft sind. Aber so ist es eben in einer Demokratie: Die Minderheit versucht, die Bürger zu überzeugen, das nächste Mal anders zu wählen.

Wir sind keine politische Partei, und wollen auch keine werden. Wir versuchen, die Wähler zu beeinflussen. Ob es uns gelingt, ist eine offene Frage.

Yehuda Bauer, 85, geboren in Prag, ist israelischer Historiker. Er war Leiter des Internationalen Zentrums für Holocaust-Studien an der Gedenkstätte Jad Vaschem, Jerusalem.

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