Ex-Botschafter Avi Primor:"Netanjahus Regierung schadet dem Ansehen Israels"

Lesezeit: 4 Min.

Pessimismus pur von Avi Primor: Israels Ex-Botschafter in Deutschland warnt im Gespräch mit sueddeutsche.de vor einer Negativspirale durch die Ausrufung eines Palästinenserstaates, beklagt die rapide verschlechterten Beziehungen seines Landes zur Türkei und schimpft über die Rechts-rechts-Regierung unter der Führung des Likud.

Oliver Das Gupta

Avi (Avraham) Primor kam 1935 in Tel Aviv zur Welt, die Frankfurter Familie seiner Mutter wurde während der Nazi-Zeit ermordet. Primor trat 1961 in den diplomatischen Dienst ein. Nach mehreren Botschafter-Posten vertrat er zwischen 1993 und 1999 Israel in Deutschland. Danach schied Primor aus dem diplomatischen Dienst aus und wurde Vizepräsident der Universität Tel Aviv. Seit 2005 ist er an der Privatuniversität in Herzliya und außerdem als Publizist tätig.

Ein palästinensischer Junge stellt sich nach einer Demonstration in Hebron einem israelischen Soldaten in den Weg. (Foto: AFP)

sueddeutsche.de: Herr Primor, weltweit richtet sich die Aufmerksamkeit auf den Nahen Osten: Die palästinensische Autonomiebehörde forciert ihre Unabhängigkeitsbestrebungen bei den Vereinten Nationen (UN). Haben Sie Verständnis für diesen Schritt?

Avi Primor: Verständnis habe ich schon. Aber ich halte diesen Schritt für unvernünftig.

sueddeutsche.de: Inwieweit haben Sie Verständnis?

Primor: Den Palästinensern ist bislang nichts anderes gelungen: Der gewalttätige Aufstand wurde niedergeschlagen, in den Verhandlungen ging nichts voran. Was bleibt, ist die diplomatische Initiative.

sueddeutsche.de: Und warum halten Sie diesen Schritt für unvernünftig?

Primor: Spielen wir das Szenario durch: Die Mehrheit der UN-Vollversammlung stimmt dem Ansinnen der Palästinenser zu. Aber ein anerkannter Palästinenserstaat wird nicht automatisch Mitglied der Vereinten Nationen, weil da der UN-Sicherheitsrat mitentscheidet - und dort blockieren die USA. Dafür setzt sich eine Negativspirale in Gang.

sueddeutsche.de: Inwiefern könnte sich die Situation vor Ort verschlechtern?

Primor: Die US-Republikaner werden im Kongress durchsetzen, dass ein Palästinenser-Staat keine amerikanischen Finanzhilfen mehr bekommt. In der Folge wird die Palästinenserbehörde Pleite gehen, die israelischen Soldaten aber werden nicht abziehen. Bald wird bei der palästinensischen Bevölkerung eine riesengroße Enttäuschung einsetzen, weil sich vor Ort nichts verbessert hat. Im Gegenteil: Die Verhältnisse werden sich verschlechtern, weil die Autonomiebehörde kein Geld hat.

sueddeutsche.de: Und dann?

Primor: Diese Entwicklung kann in einen Aufstand münden, nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Für Israel bergen die Unabhängigkeitsbestrebungen noch eine juristische Gefahr. Denn wenn die Palästinenser diesen Schritt machen, dann besetzen die Israelis ja nicht mehr irgendein Gebiet, sondern einen souveränen Staat. Sie sehen, die Situation würde sich für alle Beteiligten so sehr verändern, dass man mit einigen Erschütterungen und Explosionen rechnen muss.

sueddeutsche.de: Wie sehen Sie die internationale Reputation Ihres Heimatlandes derzeit?

Primor: Schlechter kann es gar nicht stehen. Aber man sagt es so, und dann wird es noch schlechter. Abgesehen von der Tea Party in den USA und ein paar ganz rechten Parteien in Europa gibt es wohl niemand, der die israelische Politik in Bezug auf die Palästinenser aus vollem Herzen unterstützt, die in Wirklichkeit eher eine Unfriedenspolitik ist. Die rechts-rechts Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu schadet dem Ansehen Israels immer mehr. Wir verlieren immer mehr Partner und Freunde, was sich gerade bei den palästinensischen Unabhängigkeitsbestrebungen zeigt.

sueddeutsche.de: Sie sehen Israel isoliert?

Primor: Wir sind fast isoliert, leider. Die US-Regierung unterstützt unsere Position, aber nur widerwillig. Die Deutschen und die Kanadier sind noch bei uns, auch die Niederländer aus Tradition. Die Italiener ebenfalls, weil Premier Silvio Berlusconi aus persönlichen Gründen das so will. Und dann noch die Rechtsextremisten und Islamfeinde in aller Welt. Soweit ist es gekommen.

sueddeutsche.de: Seit Monaten verschlechtert sich das Verhältnis zu Ägypten rapide. Ist dieser wichtige regionale Partner für Israel dauerhaft verloren?

Primor: Die ägyptischen Behörden wissen, dass sie Frieden mit Israel brauchen, aber nach der Revolution reicht das nicht. Das Problem ist, dass die Massen in der Türkei, Ägypten und anderswo in der muslimischen Welt antiisraelisch eingestellt sind: Weil die Israelis die Palästinenser unterdrücken, weil sie den Friedensprozess nicht vorantreiben, weil sie Siedlungen bauen. Das alles hat einen immensen emotionalen Einfluss. Die Frage ist: Wie lange werden die Behörden diesen Unmut in Grenzen halten?

sueddeutsche.de: Was kann diesen Unmut beruhigen?

Primor: Glaubwürdige und echte Verhandlungen Israels mit den Palästinensern. Aber alleine werden wir das nicht schaffen, auch, weil Israels Regierung weder willig, noch fähig dazu ist - wir brauchen Hilfe von außen. Damit sind wir beim nächsten Problem: Die Amerikaner können derzeit nicht positiv eingreifen, weil sie die Präsidentschaftswahl bis Ende 2012 lähmt. Und die Europäer sind damit beschäftigt, den Euro zu retten. Ich sehe gerade nicht, wie man aus dieser Krise rauskommt.

sueddeutsche.de: Immerhin hat sich Netanjahu öffentlich bei den Ägyptern dafür bedankt, dass sie das israelische Botschaftspersonal beim Sturm der Vertretung in Kairo beschützt haben. Ist das ein neuer, konzilianter Netanjahu?

Israels Botschafter in Bonn und Berlin zwischen 1993 und 1999: Avi Primor. Diese Aufnahme entstand in Tel Aviv. (Foto: dpa)

Primor: Es ist der alte Netanjahu der Lippenbekenntnisse. Seit zwei Jahren spricht er von einer Zwei-Staaten-Lösung - aber er hat nichts dafür getan. Was ihm am Herzen liegt ist eine rechte Ideologie, von der er tiefgreifend überzeugt ist. Darüber hinaus will er seine Koalition retten. Er weiß: Wenn er Zugeständnisse macht, werden seine ultrarechten Partner wie Außenminister Avigdor Lieberman sofort "Verrat" schreien.

sueddeutsche.de: In den vergangenen Monaten, seit dem Entern der sogenannten Gaza-Hilfsflotte, hat sich das einst ausgezeichnete Verhältnis Israels zur Türkei rapide verschlechtert. Trägt für diese Entwicklung nur Israel Verantwortung?

Primor: Nein, auch der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan. Beide Seiten haben nicht ernsthaft versucht, die Situation zu deeskalieren. Die Entwicklung schadet beiden Ländern, wobei es für Israel sicherlich schmerzlicher ist.

sueddeutsche.de: Wo gibt es noch regionale Partner für Israel? Erdogan sucht inzwischen auch den militärpolitischen Schulterschluss mit Ägypten, in Syrien mordet das Regime von Präsident Assad, im Libanon ist die radikale Schiiten-Miliz Hisbollah ein entscheidender Machtfaktor.

Primor: Es bleibt nur noch Jordanien - ein kleines und schwaches Land, mit dem wir die längste Landgrenze haben. Aber kein Mensch weiß, wie sich Jordanien entwickelt, denn dort brodelt es auch.

sueddeutsche.de: Fühlt sich Israel umzingelt von Feinden?

Primor: Diese Sorge gibt es und sie spielt der Netanjahu-Regierung in die Hände. Wenn wir Israelis uns nicht in Sicherheit fühlen, dann vergessen wir alle anderen Probleme rasch. Dann ebbt auch eine mächtige Protestbewegung, wie wir sie in diesem Jahr erlebt haben, schnell ab.

sueddeutsche.de: Sind sie wirklich so pessimistisch, wie Sie klingen, Herr Primor?

Primor: Ich bin tatsächlich pessimistisch. Welche Regierung sollte etwas Positives bewegen können? Die israelische ist an einem Kompromiss nicht interessiert, die palästinensische tut etwas, was sie massiv schädigen wird, die ägyptische Regierung ist getrieben von den Massen, die Türkei facht Konflikte an, statt zu vermitteln, Syrien ist ein Pulverfass. Die internationale Gemeinschaft kümmert sich um andere Dinge. Also: Es sieht nicht gut aus.

sueddeutsche.de: Kann die Bundesregierung etwas bewirken?

Primor: Deutschland steht an unserer Seite, aber das reicht nicht, um den Friedensprozess wieder in Gang zu bringen. Alleine, ohne die europäischen Partner, kann Berlin nichts erreichen.

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