Israel und die Palästinenser:Auge um Auge

Wer bricht den Kreislauf der Gewalt im Nahen Osten? Mahmud Abbas sollte Netanjahu einen eigenen Deal anbieten.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Allzu oft hat der palästinensische Präsident Mahmud Abbas gedroht, die Abkommen mit Israel und den USA aufzukündigen. Entweder ließ er dann keine oder nur symbolische Schritte folgen, weshalb die Drohungen des 84-Jährigen lang nicht mehr ernst genommen wurden. Doch diesmal, im Streit um die Annexion von Teilen des Westjordanlandes durch Israel, ist es anders - auf beiden Seiten. Abbas ließ seiner Ankündigung nun Taten folgen, denn er weiß: Auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist bereit zu handeln. Auge um Auge, Zahn um Zahn - das alte Prinzip im Nahen Osten. Erstmals steht im Koalitionsvertrag einer israelischen Regierung, dass Teile des Westjordanlandes annektiert werden können, versehen mit einem Datum: ab Juli.

Abbas ging dosiert vor. Einzelne palästinensische Sicherheitskräfte wurden abgezogen, israelische und amerikanische Gesprächspartner über ein Ende der Kooperation informiert. Er schreckte aber, noch, davor zurück, die Autonomiebehörde aufzulösen. Dies käme einer Selbstausschaltung gleich, was die palästinensische Elite, die von diesem System profitiert, zu vermeiden versucht. Die Israelis teilten als Retourkutsche mit, dass sie die Behandlungsmöglichkeit für palästinensische VIPs in israelischen Krankenhäusern aufkündigen. Die Autonomiebehörde hat auch jenes Abkommen nicht gekündigt, das es ermöglicht, dass Israel weiter Steuer- und Zolleinnahmen für Palästinenser eintreibt.

Der palästinensische Präsident sendet einerseits eine Warnung an Israel und die USA, andererseits einen Weckruf an die europäischen und arabischen Staaten. Rhetorische Unterstützung eines palästinensischen Staates hat den israelischen Siedlungsbau nicht gestoppt. Wenn der De-facto-Aneignung nun eine De-jure-Annexion folgt, können sich Europäer und arabische Staaten nicht mehr vor Maßnahmen drücken, wollen sie das Völkerrecht verteidigen. Aus Sicht Netanjahus ist dies gerade eine historische Gelegenheit, im Westjordanland Fakten zu schaffen, da sein Verbündeter Trump nur noch fix bis zur Präsidentschaftswahl im November im Amt ist und die Welt mit dem Coronavirus beschäftigt ist.

Die palästinensische Führung inklusive Abbas hat es versäumt, auf Angebote der israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak und Ehud Olmert einzugehen, die für die palästinensische Seite attraktiver waren als der jetzige US-Vorschlag. Er hat aber auch die Zeit seit der Präsentation von Trumps Nahostplan Ende Januar nicht genutzt, um eigene Vorschläge zu unterbreiten, da dieser "Deal" schlicht absurd ist. Der Plan sieht vor, dass Israel sich rund 32 Prozent des Westjordanlandes sofort einverleiben kann, stellt den Palästinensern in ferner Zukunft einen Staat in Aussicht, der lediglich aus zerstückelten Flächen besteht.

Die Palästinenser sollten selbst Alternativen vorschlagen. Sie könnten die Friedensinitiative der arabischen Staaten aus dem Jahr 2002 aus der Schublade holen und ihrerseits Netanjahu und Trump einen "Deal" anbieten: für die Schaffung eines palästinensischen Staates die Normalisierung der Beziehungen und die Anerkennung des Staates Israel. Das würde Sicherheit in der Region schaffen. Einseitige Schritte wie die Annexion durch Israel oder die Auflösung der Autonomiebehörde durch die palästinensische Führung führen nur zu einer Eskalation der Gewalt.

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