Israel und der Krieg gegen die Hamas:Der Kampf um die öffentliche Meinung

Israel will ein weiches Bild vom Gaza-Krieg zeichnen - nach dem Beschuss einer Schule und zahlreichen zivilen Toten ist das kaum noch möglich.

Thorsten Schmitz, Tel Aviv

Zwei Wochen nach Beginn der israelischen Militäroffensive im Gaza-Streifen gegen die Hamas hat sich noch immer kein ausländischer Journalist ein eigenes Bild von der Kampfzone machen können. Israel bemüht sich, die Fehler aus dem Libanon-Krieg von 2006 nicht zu wiederholen und will diesmal allein das Bild vom Krieg bestimmen.

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Trauer um die toten Kinder: Im Flüchtlingslager Dschabalija versammelten sich Tausende bei der Beerdigung der 39 Opfer des Angriffs nahe der Schule der Vereinten Nationen.

(Foto: Foto: Getty)

Damals hatten Reporter Gespräche über Einsatzstrategien zwischen Armee-Offizieren gefilmt, Soldaten hatten auf ihren Handys aus dem Kriegsgebiet mit zu Hause und Radiosendern telefoniert und von unzureichenden Ausrüstungen und stündlich wechselnden Befehlen erzählt. Jetzt müssen die Soldaten ihre Handys abgeben.

Mit der Einschränkung der freien Berichterstattung versucht Israel den Gaza-Krieg als Kampf gegen die Milizionäre der radikalislamischen Hamas zu legitimieren. Pressesprecher der Armee bemühen sich, die Zahl der bislang mehr als 600 getöteten Palästinenser damit zu erklären, dass es sich vor allem um Hamas-Mitglieder handele und Zivilisten deshalb getötet würden, weil die Radikalislamisten sich in Wohngebieten versteckt hielten und auch von dort Raketen auf Israel und seine Truppen abfeuerten.

In israelischen Medien kursieren auch Meldungen, wonach Hamas-Kämpfer in Arzt- und Pflegekitteln im Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt Unterschlupf vor den Scharfschützen der israelischen Armee gesucht hätten. Einen Beleg bleiben die Medien indes schuldig. Unabhängige Recherche ist nicht möglich.

"Herzzerreißende Tragödie"

Israels Versuch, ein weicheres Bild vom Krieg zu zeichnen, hat am Dienstagabend einen Rückschlag erlitten. Weltweit wurden Bilder von dem Mörsergranaten-Angriff auf eine Mädchenschule der Vereinten Nationen im Flüchtlingslager von Dschabalija im Norden des Gaza-Streifens veröffentlicht, in der Hunderte Palästinenser Schutz vor den Angriffen der Armee gesucht hatten.

Nach Angaben der UN wurden bei dem Luftangriff mindestens 39 Palästinenser getötet, darunter viele Frauen und Kinder, sowie mehr als 50 Palästinenser zum Teil schwer verletzt. Armee-Sprecher in Tel Aviv reagierten umgehend - und ungewöhnlich emotional.

Es sei "äußerst wichtig" zu verstehen, wurden Auslandskorrespondenten in Emails und Anrufen belehrt, wie es zu dieser "herzzerreißenden Tragödie", zu diesem "entsetzlichen Zwischenfall" kommen konnte. Schuld trage Hamas, denn deren Milizionäre hätten vom Schulhof aus Granaten auf israelische Truppen gefeuert.

Unter den Toten befänden sich auch die Hamas-Mitglieder Imad Abu Askhar und Hassan Abu Askhar. Ilan Tal vom Pressestab der Armee erklärte: "Die Soldaten haben zurückgeschossen, um ihr eigenes Leben zu retten." Erst wenige Stunden vor dem blutigen Angriff auf die UN-Schule hatte Staatspräsident Schimon Peres im Gespräch mit EU-Ministern erklärt, Hamas missbrauche die palästinensische Zivilbevölkerung als Schutzschilde.

Der Kampf um die öffentliche Meinung

In "menschenverachtendem Zynismus" nehme Hamas den Tod der Zivilisten in Kauf, um weltweite Empörung und Hass auf Israel auszulösen. Die Armee-Abteilung für neue Medien verbreitete noch in der Nacht zu Mittwoch einen Videofilm auf der Internetseite YouTube, der von einem unbemannten Flugkörper der Armee im Oktober 2007 aufgenommen worden war.

Das Schwarzweißvideo, das inzwischen fast 200.000 Mal angeklickt worden ist, zeigt in sehr schlechter Qualität drei Menschen, die von der Schule aus drei Geschosse abfeuern. In welche Richtung die Geschosse abgefeuert werden, zeigt das Video nicht. Die Armee behauptet, der Film belege, dass Hamas-Milizionäre von der Schule aus Granaten auf Israel abgefeuert hätten.

Der Sprecher des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge, Christopher Gunness, erklärte, zum Zeitpunkt des israelischen Mörserangriffs hätten sich etwa 400 Menschen in dem Gebäude aufgehalten.

Er verlangt eine unabhängige Untersuchungskommission. Das Hilfswerk der UN habe die israelische Armee schon vor Monaten mit den Koordinaten und GPS-Daten sämtlicher UN-Schulen im Gaza-Streifen versorgt.

Das israelische Zentrum für Geheimdienst und Terrorismus, das seit acht Jahren Studien über palästinensischen Terrorismus anfertigt und über sehr enge Kontakte zur Führungsspitze der Armee verfügt, hat am Mittwoch einen Report zur Strategie von Hamas veröffentlicht, an bevölkerungsreichen Orten Waffen und Kämpfer zu verstecken.

Der Bericht zeigt Fotos von Palästinensern im Gaza-Streifen, die Raketen herstellen und in Wohnhäusern oder Moscheen lagern.

In Hintergrundanalysen wird auch die Hamas-Taktik beschrieben, Soldaten der israelischen Armee in die engen Gassen der palästinensischen Flüchtlingslager zu locken. Hamas nehme dabei in Kauf, dass bei Gefechten auch Zivilisten in die Schusslinie gerieten.

In den vergangenen Tagen hat eine palästinensische Reporterin der New York Times in mehreren Berichten aus dem Gaza-Streifen die Erkenntnisse der israelischen Terrorismusforscher bestätigt. In Reportagen aus der Kampfzone zitierte sie Bewohner des Gaza-Streifens, die ihr bestätigt hatten, dass Hamas-Kämpfer aus Wohngebieten heraus auf Israel und die Armee schössen.

Eine Bewohnerin aus dem nördlichen Gaza-Streifen sagte, man traue sich nicht, die Hamas-Militanten an Angriffen aus Wohngebieten heraus zu hindern - aus Angst, man werde dann als Kollaborateur Israels gebrandmarkt und exekutiert.

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