Israel und der IAEA-Bericht:Iran als Weltgefahr

Iran als Atommacht? Jerusalem sieht sich in Lebensgefahr. Der IAEA-Bericht schürt die Angst vor den Absichten Teherans - und israelische Kriegstreiber diskutieren heftig über einen Präventivschlag. Doch würde Israel einen Alleingang wagen? Und gibt es nicht noch andere Lösungen?

Avi Primor

In Israel streitet die Öffentlichkeit gerade heftig und auch giftig, ob die eigene Armee Iran angreifen soll; auch Top-Politiker, ehemalige Spitzengeneräle, Befehlshaber der Geheimdienste und die heutigen Kommandeure der Streitkräfte diskutieren mit. Man hat den Eindruck, dass Ministerpräsident Netanjahu und Verteidigungsminister Barak einen Angriff befürworten, dass sich dem aber die Vertreter der Streitkräfte und Geheimdienste widersetzen. Laut Meinungsumfragen ist die Bevölkerung gespalten: 41 Prozent befürworten einen Angriff, 39 Prozent sind dagegen.

Mahmoud Ahmadinejad

Der iranische Präsident Ahmadinedschad bei einem Besuch in der Atomanlage Natans (Archivbild).

(Foto: AP)

Wodurch wurde diese Aufregung ausgelöst? Vermutet wurde, dass der bevorstehende Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA Beweise veröffentlichen wird, die darauf hindeuten, dass Iran schon jetzt der endgültigen Entwicklung von Atomwaffen sehr nah ist und auch die Raketen besitzt, um sie ins Ziel zu bringen. Möglich scheint auch, dass das Land verschiedene terroristische Gruppierungen mit atomarem Material beliefert; im gesamten Nahen Osten könnte das Rennen um das wirkungsvollste Atomwaffenarsenal beginnen.

Jerusalem sieht sich in Lebensgefahr. Viele meinen, dass ein Präventivschlag unumgänglich geworden ist, weil die Welt Israel nicht helfen wird. Sie meinen auch, dass die USA im Wahljahr Israel am Präventivschlag nicht hindern werden. Und doch sind nicht alle Israelis überzeugt.

Fraglich ist zunächst, ob selbst ein erfolgreicher israelischer Angriff das iranische Vorhaben tatsächlich endgültig zunichte machen kann. Experten sagen, ein solcher Angriff könne die iranischen Pläne im besten Fall um höchstens zwei bis drei Jahre hinauszögern. Und was dann?

Darüber hinaus muss man davon ausgehen, dass Iran, anders als Irak 1982 und Syrien 2006, deren Atomanlagen Israel zerstörte, Mittel zur Selbstverteidigung und Erwiderung hat. Große Mengen moderner Raketen werden nicht nur aus Iran in Richtung Israel abgefeuert werden, sondern wahrscheinlich auch von seinen Verbündeten und Untergebenen wie Syrien, der Hisbollah in Südlibanon, der Hamas und dem Islamischen Dschihad im Gazastreifen.

Damit wird sich Iran aber nicht abfinden. Es wird wahrscheinlich auch die Erdölanlagen in seinen Nachbarstaaten angreifen, um mit einer Energiekrise die Welt tiefer in die Wirtschaftskrise zu stürzen. Irans Nachbarn wissen, dass sie, sobald Iran zur Atommacht wird, keinen Schutz mehr von den westlichen Alliierten bekommen können, anders als Kuwait 1991. Einen Gaddafi oder einen Saddam Hussein kann man angreifen, eine Atommacht wie Nordkorea oder Pakistan traut man sich nicht anzutasten.

Eine Bedrohung für die ganze Welt

Wenn das so ist, dann ist das Problem kein israelisches, sondern ein Weltproblem. Warum aber erwägt Israel die Möglichkeit eines Alleinganges? Und warum werden diese Überlegungen nicht geheim gehalten, um einen Überraschungsangriff zu starten? Die israelische Regierung beteuert ihre Unschuld und bezichtigt die ehemaligen Geheimdienstchefs sowie die Opposition, die Debatte initiiert zu haben.

Das entspricht nicht der Realität. In seiner jüngsten Rede vor der Knesset thematisierte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die iranische Gefahr und zitierte den Talmud: "Wenn einer kommt, um dich zu töten, stehe auf und töte ihn zuerst." Auch der Verteidigungsminister und nicht zuletzt der israelische Staatspräsident Schimon Peres äußerten sich öffentlich in diesem Sinne.

Manche sehen darin einen verzweifelten Versuch, die Welt dazu zu bewegen, selbst gegen Iran zu agieren. Tatsächlich gibt es Anzeichen, dass die Welt die israelische Warnung zur Kenntnis genommen hat. Die Zeitung The Guardian sprach vorige Woche von Vorbereitungen der britischen Luftwaffe, um die iranische Atomanlage anzugreifen. Die Präsidenten Obama und Sarkozy äußerten sich schärfer denn je gegen das iranische Vorhaben.

Aber warum sollte Iran dies ernst nehmen? Wenn Israel seine möglichen Pläne veröffentlicht, dann sind sie wahrscheinlich nicht wirklich gefährlich. Und wenn die westlichen Alliierten wieder einmal Iran warnen, so ist das nicht neu. Damit hat sich Iran abgefunden. Vor allem weiß die Führung dort, dass die USA kein neues, gefährliches Abenteuer wagen werden - Amerika ist getroffen von der Wirtschaftskrise, hat in Irak und Afghanistan genug Probleme und auch die Wahlen stehen an. Was also ist der Sinn des Tumults?

In Israel behauptet die Opposition, dass die Regierung mit dem Säbel rasselt, um die gravierenden Probleme im Land zu überspielen. Die wochenlangen Demonstrationen des Sommers sind vorbei, die Unzufriedenheit aber ist geblieben; findet die Regierung keine dauerhafte Lösung für die sozialen Probleme, wird die Wut der Bevölkerung wieder ausbrechen. Auch die versteinerte politische Situation, ohne einen Friedensprozess am Horizont, scheint zunehmend unhaltbar. Hinzu kommt, dass die Weltwirtschaftskrise allmählich doch in Israel ankommt, was den Unmut der Bevölkerung nur stärken wird. Aber um nichts sorgt sich die israelische Bevölkerung mehr als um die Sicherheit - und nichts hält sie stärker zusammen als die Kriegsgefahr.

Was auch der Grund für die Iran-Debatte in Israel ist: Es bleibt die Tatsache, dass Atomwaffen in Iran für Israel eine große Gefahr darstellen. Die Frage ist, was man tatsächlich dagegen tun kann. Ob Iran es wagt, Israel atomar anzugreifen, ist fraglich. Selbst bei einem Atomangriff bleiben Israel Mittel, um Vergeltungsschläge auszuführen.

Iran hat keine Selbstmordpläne

Es ist schwer sich vorzustellen, dass Iran Selbstmordambitionen hegt. Iran, das in Wirklichkeit gegen seine erdölproduzierenden Nachbarn vorgehen will, benutzt die Hasspropaganda gegen Israel als Mittel im Machtkampf innerhalb der islamischen Welt. Dagegen könnte Israel einen glaubwürdigen Friedensprozess ins Leben rufen, der Iran den Wind aus den Segeln nimmt.

Was die Welt betrifft, so müsste man die Sanktionen gegen Iran erheblich verstärken, damit sie endlich Wirkung zeigen und Iran in echte Verhandlungen drängen. Gleichzeitig muss man sich trotz allem mit der Tatsache abfinden, dass Iran auch unter dem stärksten Druck auf seine Atompläne nicht verzichten wird. Atomwaffen in Iran allein müssen aber an sich noch keine Weltgefahr bedeuten.

Die Frage ist, in welche Hände diese Waffen gelangen werden. Das Beste, das der Westen tun kann, ist im Geheimen die verbitterte, aber sehr starke Opposition in Iran zu unterstützen. In den Händen einer demokratischen und weltoffenen iranischen Regierung werden diese Atomwaffen keine Weltgefahr mehr sein.

Der Diplomat und Publizist Avi Primor, 76, war von 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Berlin. Er gehört zu den wichtigsten Stimmen im israelisch-deutschen Dialog.

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