Israel und der Gaza-Streifen:Die Tragödie der Palästinenser

Die Welt darf nicht länger hinnehmen, dass Israel mit Hilfe der USA in Gaza eine ganze Bevölkerung brutal bestraft. Es ist Zeit, dass sich gegen diese Menschenrechtstragödie starke Stimmen erheben.

Jimmy Carter

Die Welt wird derzeit in Gaza, wo anderthalb Millionen Menschen nahezu ohne jeden Zugang zur Außenwelt von der See, aus der Luft oder über Land gefangengehalten werden, Zeuge eines schrecklichen Verbrechens gegen die Menschenrechte. Eine komplette Bevölkerung wird hier brutal bestraft.

Jimmy Carter; AP

Jimmy Carter ist ehemaliger Präsident der USA und Gründer des Carter Centers zur Förderung des Friedens, der Gesundheit und der Menschenrechte weltweit.

(Foto: Foto: AP)

Diese grausame Misshandlung der Palästinenser im Gazastreifen wurde von Israel - mit US-Unterstützung - drastisch verschärft, nachdem politische Kandidaten, die die Hamas vertraten, 2006 eine Mehrheit der Sitze im Parlament der Palästinenserbehörde errangen. Die Wahlen waren von allen internationalen Beobachtern unisono als ehrlich und fair bewertet worden.

Israel und die USA weigerten sich, das Recht der Palästinenser auf Bildung einer aus Hamas und Fatah bestehenden Regierung der Nationalen Einheit anzuerkennen, und inzwischen kontrolliert die Hamas, nach internem Kampf, den Gazastreifen allein. Einundvierzig der 43 bei den Wahlen erfolgreichen Hamas-Kandidaten, die im Westjordanland lebten, wurden inzwischen von Israel inhaftiert, dazu weitere zehn, die Positionen im kurzlebigen Koalitionskabinett innehatten.

Unabhängig davon, auf welcher Seite man im Partisanenkampf zwischen Fatah und Hamas innerhalb des besetzten Palästinas steht: Wir müssen im Gedächtnis behalten, dass Wirtschaftssanktionen und Beschränkungen der Lieferung von Wasser, Nahrungsmitteln, Strom und Kraftstoffen unter den unschuldigen Menschen in Gaza, von denen etwa eine Million Flüchtlinge sind, extreme Not verursachen.

Israelische Bomben und Raketen schlagen in regelmäßigen Abständen in dem umschlossenen Gebiet ein und verursachen gleichermaßen hohe Verluste unter militanten Kämpfern und unschuldigen Frauen und Kindern.

Schon vor der Tötung einer Mutter und ihrer vier kleinen Kinder während der letzten Woche, die ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erregte, wurde dieses Muster durch einen Bericht der führenden israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem belegt: 106 Palästinenser wurden zwischen dem 27. Februar und dem 3. März getötet. Vierundfünfzig davon waren Zivilisten, die nicht an den Kämpfen beteiligt waren, und 25 waren unter 18 Jahren.

Bei einer vor kurzem abgeschlossenen Reise durch den Nahen Osten habe ich versucht, ein besseres Verständnis der Krise zu gewinnen. Einer meiner Besuche galt Sderot, einer Gemeinschaft von etwa 20.000 Menschen in Südisrael, die häufig von aus dem nahe gelegenen Gaza abgeschossenen rudimentären Raketen getroffen wird. Ich habe diese Angriffe als verabscheuungswürdig und als terroristischen Akt verurteilt, da die meisten der 13 Opfer während der vergangenen sieben Jahre nicht an Kämpfen beteiligt waren.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Jimmy Carter bei einem Treffen mit Führern der Hamas erfuhr und welches Vorgehen er für Gaza empfiehlt ...

Die Tragödie der Palästinenser

In der Folge traf ich mich mit Führern der Hamas, und zwar sowohl mit einer Delegation aus Gaza als auch mit Vertretern der obersten Führung in Damaskus, Syrien. Ich äußerte ihnen gegenüber dieselben Vorwürfe und drängte darauf, dass sie einen einseitigen Waffenstillstand erklären oder mit Israel eine gegenseitige Vereinbarung abstimmen sollten, um für einen längeren Zeitraum alle Kampfmaßnahmen in und um Gaza einzustellen.

Ihre Antwort war, dass frühere derartige Maßnahmen ihrerseits nicht erwidert worden seien, und sie erinnerten mich daran, dass die Hamas zuvor auf einem Waffenstillstand für ganz Palästina - also für Gaza und das Westjordanland - beharrt hatte, den Israel abgelehnt habe. Die Hamas habe dann einen öffentlichen Vorschlag für einen gegenseitigen, auf Gaza beschränkten Waffenstillstand gemacht, den die Israelis in Erwägung gezogen, aber dann ebenfalls abgelehnt hätten.

Fortschritte trotz kurzzeitiger Traras

Es sind auf beiden Seiten glühende Argumente zu vernehmen, wer am fehlenden Frieden im Heiligen Land schuld sei. Israel hat das palästinensische Westjordanland besetzt und kolonisiert, das etwa ein Viertel (28,5%) des Staatsgebiets Israels ausmacht, so wie es von der internationalen Gemeinschaft anerkannt wird. Einige religiöse israelische Gruppierungen erheben Anspruch auf das Land zu beiden Seiten des Jordans, und andere betonen, dass die 205 israelischen Siedlungen mit ihren etwa 500.000 Menschen aus "Sicherheitsgründen" erforderlich seien.

Alle arabischen Staaten haben sich zur uneingeschränkten Anerkennung Israels bereit erklärt, falls dieses zentrale UNO-Resolutionen einhalte. Die Hamas hat erklärt, sie werde jeden zwischen dem Präsidenten der Palästinenserbehörde, Mahmoud Abbas, und dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert ausgehandelten Friedensvertrag anerkennen, vorausgesetzt, dieser würde vom palästinensischen Volk durch ein Referendum gebilligt.

Dies verspricht Fortschritte, doch trotz des kurzzeitigen Traras und der positiven Erklärungen auf der Friedenskonferenz vom vergangenen November in Annapolis, Maryland, hat es einen Rückschritt im Friedensprozess gegeben. 9000 neue israelische Wohneinheiten sind für die Siedlungen in Palästina angekündigt worden, die Anzahl der Straßensperren im Westjordanland hat sich erhöht, und der Würgegriff um Gaza wurde verschärft.

Es ist eine Sache, wenn andere Führer den USA bei den entscheidenden Friedensverhandlungen den Vortritt lassen. Doch die Welt darf nicht tatenlos zusehen, während unschuldige Menschen Grausamkeiten ausgesetzt werden. Es ist Zeit, dass sich in Europa, den USA, Israel und andernorts starke Stimmen erheben und diese Menschenrechtstragödie unter dem palästinensischen Volk verurteilen.

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