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Tod einer Journalistin:Israel wegen Polizei-Einsatz bei Beerdigung unter Druck

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Nach heftiger Kritik kündigt Israel eine Untersuchung zum gewalttätigen Vorgehen bei der Trauerfeier für eine getötete Al-Jazeera-Journalistin an.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Die Bilder waren zu krass, der Druck war zu groß: Am Wochenende hat Israels Polizei eine Untersuchung darüber angekündigt, wie es zum brutalen Einschreiten der Sicherheitskräfte bei der Beerdigung der palästinensischen Journalistin Shireen Abu Akleh am Freitag in Jerusalem kommen konnte. International und auch in Israel ist dieser Vorfall scharf verurteilt worden.

Tausende Menschen waren zur Trauerfeier für die Al-Jazeera-Reporterin gekommen, die in der vorigen Woche erschossen worden war, als sie über einen israelischen Militäreinsatz in Dschenin berichten wollte. Zahlreiche arabische TV-Sender übertrugen die Beerdigung live. Zu sehen war, wie schwarz uniformierte israelische Polizisten mit Schlagstöcken und Tritten wahllos gegen Trauergäste und die Träger des Sargs vorgingen. Fast wäre dabei auch der Sarg mit dem Leichnam zu Boden gefallen.

Die Polizei rechtfertigte ihr Vorgehen damit, dass es beim Trauerzug gewaltsame Angriffe gegen die Sicherheitskräfte sowie eine Verletzung vorab getroffener Vereinbarungen gegeben habe. Demnach hätten Hunderte Unruhestifter gegen den Willen der Familie vom Sarg Besitz ergriffen, um ihn durch die Stadt zu tragen, obwohl aus Sicherheitsgründen ein Transport mit dem Leichenwagen vereinbart worden sei. Der Bruder der Toten widersprach jedoch den israelischen Angaben. Man habe nur eine "kleine Prozession" abhalten wollen und sei sofort von der Polizei "bombardiert" worden.

Die Verantwortlichen auf israelischer Seite müssen sich nun den Fragen stellen, warum im hoch sensiblen Umfeld einer Beerdigung derart offensiv vorgegangen wurde. Die palästinensische Seite beschuldigt Israel des "kaltblütigen Mords" an Shireen Abu Akleh, während Israel noch keinen Beweis für die These vorlegen konnte, dass die Journalistin inmitten eines Feuergefechts möglicherweise auch von einem palästinensischen Schützen getötet wurde. Der UN-Sicherheitsrat forderte inzwischen eine "sofortige, gründliche, transparente und unparteiische Untersuchung" zum Tod der bekannten TV-Reporterin.

Die konservative Zeitung "Jerusalem Post" schreibt von einer "Schande" für das Land

Die über soziale Medien verbreiteten Videos von der Beerdigung der palästinensischen Journalistin, die auch die US-Staatsangehörigkeit besaß, setzen Israel unter großen Rechtfertigungsdruck. In Washington bezeichnete die Sprecherin des Weißen Hauses die Bilder der Gewalt als "außerordentlich verstörend". US-Präsident Joe Biden verlangt eine Untersuchung des Vorfalls. In der EU zeigte man sich "entsetzt". Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagte, sie sei "zutiefst erschüttert, dass die Trauerfeier nicht in Frieden und Würde stattfinden konnte". Shireen Abu Akleh wurde nach den Tumulten auf einem christlich-orthodoxen Friedhof neben der Altstadt beigesetzt.

Auch israelische Medien kritisieren den Polizei-Einsatz heftig. Die konservative Jerusalem Post schreibt von einer "Schande" für das Land. Das Massenblatt Jedioth Achronoth zeigt sich "schockiert von der ungezügelten Brutalität und Gewalt" der Polizeikräfte, für die es "keine Entschuldigung" gebe. In der linksliberalen Haaretz heißt es, dies sei "eine der extremsten visuellen Darstellungen der Besatzung und der Erniedrigung, der die Palästinenser ausgesetzt sind".

Verwiesen wird nun auch auf zahlreiche weitere Fälle, in denen der Polizei in der Vergangenheit ein rücksichtsloses und brutales Vorgehen vorgeworfen wurde. Befürchtet wird nun, dass die Vorgänge um den Tod und die Beerdigung von Shireen Abu Akleh die seit zwei Monaten anwachsende Welle der Gewalt weiter antreibt. Auch am Sonntag war die Polizei landesweit in höchster Alarmbereitschafft, weil die Palästinenser den Nakba-Tag begingen. Dieser erinnert an die Flucht und Vertreibung Hunderttausender nach der israelischen Staatsgründung im Mai 1948.

Der Untersuchungsbericht der Polizei zur Beerdigung soll in wenigen Tagen vorgelegt werden. Vorab hieß es in einer Erklärung, man werde Lehren aus dem Vorfall ziehen.

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