Nahostkonflikt:Ein Toter bei schweren Ausschreitungen israelischer Siedler

Israelische Sicherheitskräfte im Westjordanland

Israelische Sicherheitskräfte in der Nähe der Kreuzung, an der am Sonntag zwei Israelis getötet wurden.

(Foto: RAMI AMICHAY/REUTERS)

Zwei Israelis waren bei einem Anschlag im nördlichen Westjordanland ums Leben gekommen. Trotz der neuerlichen Spannungen einigen sich Vertreter Israels und der Palästinenser auf vertrauensbildende Maßnahmen - beim ersten direkten Treffen seit Jahren. Ein Gesetzentwurf Netanjahus bringt unterdessen die Todesstrafe für Terroristen auf den Weg.

Nach einem tödlichen Anschlag auf zwei Israelis im nördlichen Westjordanland ist es dort am Sonntag zu schweren Ausschreitungen israelischer Siedler gekommen. Ein Palästinenser wurde nach Angaben des Gesundheitsministeriums durch Schüsse getötet. Mindestens 100 wurden nach Angaben von Sanitätern verletzt. Israelische Siedler sollen in Huwara und Ortschaften in der Umgebung zahlreiche Häuser, Läden und Autos von Palästinensern in Brand gesetzt haben. Das israelische Fernsehen berichtet, mehrere palästinensische Familien seien von Einsatzkräften aus ihren brennenden Häusern gerettet worden.

Die Siedler wollten Rache üben für den mutmaßlich palästinensischen Anschlag auf die beiden Brüder im Alter von 20 und 22 Jahren, die zuvor in Huwara, das südlich von Nablus liegt, erschossen worden waren. Sie stammten aus der nahegelegenen israelischen Siedlung Har Bracha. Angesichts der Eskalation der Lage teilte die Armee am Abend mit, sie werde ihre Truppen im Westjordanland um zwei weitere Bataillone verstärken.

Zuvor waren bei einem Treffen in der jordanischen Hafenstadt Akaba vertrauensbildende Maßnahmen zwischen Israel und den Palästinensern vereinbart worden. An den mutmaßlich ersten direkten Gesprächen dieser Art zwischen beiden Seiten seit Jahren nahmen auch Regierungsvertreter der USA, Jordaniens und Ägyptens teil. Ein weiteres Treffen wurde für kommenden Monat im ägyptischen Scharm el-Scheich angesetzt.

Man wolle jede weitere Eskalation im Nahostkonflikt vermeiden. Das geht aus einer gemeinsamen Abschlusserklärung hervor, die nach einem Treffen im Hafen von Akaba am Roten Meer in Jordanien am Sonntag veröffentlicht wurde. Beide Seiten verpflichteten sich laut dem Papier dazu, die Lage zu beruhigen und neue Gewalt zu unterbinden. Außerdem versprachen die Teilnehmer der Konferenz, auf einen "gerechten und langfristigen Frieden" hinarbeiten zu wollen.

Israelis und Palästinenser wollten "einseitige Maßnahmen" für drei bis sechs Monate aussetzen, hieß es ohne weitere Details. Israel verpflichtete sich demnach, vier Monate lang keine Diskussionen über den Bau neuer Siedlungen im Westjordanland zu führen und sechs Monate lang keine neuen Siedlungsaußenposten zu genehmigen. Ein israelischer Regierungsvertreter sagte zugleich, Israel halte an der Entscheidung fest, neun nicht genehmigte Siedlungen zu legalisieren. Israel wolle aber in den kommenden Monaten keine weiteren Entscheidungen über Siedlungsausbau treffen. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte auf Twitter, Israel habe sich zu keinem Baustopp verpflichtet.

Netanjahu rief seine Landsleute am Sonntagabend dazu auf, "das Gesetz nicht selbst in die Hand zu nehmen". Die Vorsitzende der oppositionellen Arbeitspartei Awoda, Merav Michaeli, sprach von einem "Pogrom" der Siedler gegen die Palästinenser.

In den Palästinensergebieten war die Gewalt zuletzt eskaliert. Nach israelischen Militäreinsätzen war es wiederholt zu Raketenangriffen aus dem Gazastreifen gekommen, auf die Israel mit Beschuss reagiert hat. Bei einer erneuten Razzia des Militärs in Nablus im Westjordanland waren am Mittwoch elf Palästinenser getötet und mehr als 100 verletzt worden.

Israelischer Gesetzentwurf: Todesstrafe für Terroristen

Mit Attacken wie dem Anschlag auf die beiden Brüder begründet die israelische Regierung auch ein umstrittenes Gesetzesvorhaben, das sie am Sonntag auf den Weg brachte: Auf Terrorismus könnte in Israel demnach bald die Todesstrafe stehen. Laut dem Gesetzentwurf könnte dann mit dem Tod bestraft werden, wer "absichtlich oder aus Gleichgültigkeit den Tod eines israelischen Bürgers herbeiführt, wenn die Tat durch ein rassistisches Motiv oder aus Hass gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe erfolgt" und wenn dies mit dem Zweck geschehe, "den Staat Israel und die Wiedergeburt des jüdischen Volkes in seinem Heimatland zu verletzen".

Für das von Israel besetzte Westjordanland sieht das Gesetz den Angaben zufolge eine Sonderlösung vor: Hier würden entsprechende Urteile vom Militärgericht geführt und bräuchten keine einstimmige Meinung der Richter. Auf welche Weise die Todesstrafe zu vollstrecken ist, bleibt offen. Über den Gesetzentwurf soll demnach bereits am kommenden Mittwoch in der Knesset, dem israelischen Parlament, erstmals beraten werden. Durch das neue Gesetz solle "der Terrorismus an seiner Wurzel abgeschnitten und eine starke Abschreckung erzeugt werden", heißt es im Begleittext zum Entwurf.

Generalstaatsanwältin hegt Zweifel an Gesetzesvorhaben

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir begründeten die Initiative in einer gemeinsamen Erklärung: "Dies ist ein moralisches Gesetz und angemessen: Wenn es in der größten Demokratie der Welt existieren kann, dann doch erst recht in einem Land, in dem eine Welle des Terrors israelische Bürger hinwegspült." Ben-Gvir sagte weiterhin, an einem solch schwierigen Tag eines Terrorangriffs geben es nichts Symbolischeres als ein Gesetz zur Todesstrafe für Terroristen. Netanjahu sagte, seine Regierung werde "weiterhin alle Wege zur Abschreckung von Terroristen gehen".

Zuvor hatte die israelische Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara noch Zweifel an der Gültigkeit eines solchen Gesetzes geäußert. Es entspreche nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Außerdem könne es nicht auf das Westjordanland ausgedehnt werden, da dort israelisches Recht bislang nicht gelte. Zudem bezweifelte Baharav-Miara die abschreckende Wirkung der Todesstrafe auf mutmaßliche Terroristen.

Die USA begrüßten die Annäherung zwischen den Israelis und Palästinensern. Das Treffen sei eine Ausgangsbasis, sagte der Sicherheitsberater von Präsident Joe Biden, Jake Sullivan. Es müsse in den kommenden Wochen und Monaten aber noch viel Arbeit von beiden Seiten erledigt werden, um eine stabile Zukunft aufzubauen.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusAmy Gutmann im Interview
:"Putin könnte heute für Frieden sorgen, wenn er nur wollte"

US-Botschafterin Amy Gutmann verspricht die Unterstützung der Ukraine "solange es nötig ist" und kündigt an, dass aus Deutschland und den USA noch mehr militärische Hilfe erforderlich sein wird.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: