Süddeutsche Zeitung

Israel:Schwerste Raketenangriffe auf Tel Aviv seit Beginn des Nahostkonflikts

Der israelischen Armee zufolge sind mehr als 1000 Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert und dadurch mindestens fünf Menschen in Israel getötet worden. Das Gesundheitsministerium in Gaza spricht von 35 getöteten Palästinensern. Der UN-Sicherheitsrat will erneut tagen.

Bei den bisher schwersten Raketenangriffen auf Israels Küstenmetropole Tel Aviv seit Beginn des Nahostkonflikts sind mindestens fünf Menschen getötet worden. Mehr als 200 weitere seien bei den Raketenangriffen durch militante Palästinenser verletzt worden, sagte ein Militärsprecher am Mittwochmorgen. Nach Angaben der Armee sind bislang mehr als 1000 Raketen auf Israel abgefeuert worden. Rund 850 Raketen seien abgefangen worden oder in Israel niedergegangen, etwa 200 weitere seien noch im Gazastreifen niedergegangen. Zu Todesopfern kam es nach Armee- und Medienangaben in Lod bei Tel Aviv, in der Stadt Rischon LeZion und in der Küstenstadt Ashkelon.

Durch israelische Luftangriffe kamen weitere Palästinenser zu Tode. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza stieg die Zahl der seit Montag getöteten Palästinenser auf 35, darunter zwölf Kinder. Nach Berichten von örtlichen Medien und Augenzeugen wurden einige durch israelische Luftangriffe getötet, andere durch fehlgeleitete Raketen der Extremisten. 233 Menschen seien verletzt worden, so die Behörden.

Der gegenseitige Beschuss hielt in der Nacht zum Mittwoch an. Die Hamas werde keinen Rückzieher machen, sagte ein Sprecher der militanten Islamisten im Gazastreifen. "Wenn Israel zuschlägt, schlägt der bewaffnete Widerstand zurück." Die israelische Armee teilte in der Nacht mit, sie habe in den vergangenen Stunden "eine Reihe wichtiger Terrorziele und Terroraktivisten im Gazastreifen getroffen".

Das von der Hamas geführte Innenministerium erklärte, dass alle Polizeigebäude in dem Küstengebiet zerstört wurden. Die Gebäude seien von Kampfflugzeugen beschossen worden, teilte ein Ministeriumssprecher am Mittwochmorgen mit. Im Westen von Gaza-Stadt waren Dutzende laute Explosionen zu hören.

Die israelische Armee zerstörte in der Nacht zum Mittwoch zwei mehrstöckige Gebäude im Gazastreifen. Den Angaben zufolge befanden sich darin Büros ranghoher Hamas-Mitglieder. Die Anwohner der Gebäude seien vor dem Angriff gewarnt worden. Zudem habe man in der Nacht ein Gebäude beschossen, in dem sich hochrangige Mitglieder des militärischen Nachrichtendienstes der Hamas aufgehalten hätten und das auch als Waffenlager gedient habe.

Nach Angaben der israelischen Armee wurden mindestens 20 Mitglieder der islamistischen Hamas und des militanten Islamischen Dschihads "ausgeschaltet", darunter hochrangige Vertreter.

Flughafen zeitweise geschlossen

Der internationale Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv wurde wegen der Angriffe zeitweise für Landungen und Abflüge geschlossen. Die Flüge wurden nach Zypern umgeleitet. In zahlreichen Ortschaften im Großraum Tel Aviv sowie im Umkreis des Gazastreifens sollen am Mittwoch die Schulen geschlossen bleiben.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte, die Hamas und die Terrororganisation Islamischer Dschihad würden einen hohen Preis für die jüngsten Angriffe auf Israel bezahlen. "Diese Operation wird Zeit brauchen, aber wir werden den Bürgern Israels die Sicherheit zurückbringen." Generalstabschef Aviv Kochavi sagte, man sei fest entschlossen, den militanten Gruppierungen einen harten Schlag zu versetzen.

Maas: "Israel hat Recht auf Selbstverteidigung"

Bundesaußenminister Heiko Maas verurteilte die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf Israel scharf. "Dass es jetzt noch eine derartige Eskalation der Gewalt gibt, ist weder zu tolerieren noch zu akzeptieren", sagte Maas bei einem Besuch in Rom. "Israel hat in dieser Situation das Recht auf Selbstverteidigung."

Russland und die USA riefen alle Seiten zur Zurückhaltung auf. In New York zeigte sich UN-Generalsekretär António Guterres einem Sprecher zufolge sehr besorgt und "zutiefst traurig über die zunehmende Zahl von Opfern".

Ausschreitungen in Lod und weiteren Städten

Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hat sich seit Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan Mitte April zugespitzt. In den vergangenen Tagen hatte es zunächst vor allem in Jerusalem heftige Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften gegeben. Auslöser waren unter anderem Polizei-Absperrungen in der Altstadt sowie drohende Zwangsräumungen von palästinensischen Familien im Viertel Scheich Dscharrah.

In der Stadt Lod bei Tel Aviv, in der Juden und Araber gemeinsam leben, kam es dann am Dienstagabend zu schweren Ausschreitungen. Nach Medienberichten schändeten arabische Einwohner eine Synagoge und setzten sie in Brand. Außerdem seien Dutzende Autos in Brand gesetzt und Fenster von Geschäften eingeworfen worden. Der Bürgermeister von Lod sprach im Fernsehen von einem "Bürgerkrieg" in der Stadt und forderte eine sofortige Ausgangssperre. Um für Ruhe zu sorgen, wurden zahlreiche weitere Polizeitruppen in die Stadt geschickt. Auch in den arabisch geprägten Orten Akko im Norden des Landes und in Jaffa, einem Teil Tel Avivs, kam es zu schweren Zusammenstößen.

UN-Sicherheitsrat tagt erneut

Angesichts der zunehmend entfesselten Gewalt in Nahost soll der UN-Sicherheitsrat zum zweiten Mal binnen weniger Tage zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen. Die für Mittwochvormittag in New York angesetzten Beratungen wurden Diplomaten zufolge von China, Tunesien, Norwegen, Frankreich, Estland, Irland, St. Vincent und die Grenadinen, Niger und Vietnam initiiert. Der UN-Nahostbeauftragte Tor Wennesland soll das mächtigste UN-Gremium bei dem Treffen hinter verschlossenen Türen über die Lage informieren.

Der 15-köpfige Rat konnte sich bei einer ersten Sitzung am Montag nicht auf eine gemeinsame Stellungnahme einigen. Ein Entwurf Norwegens sah Kreisen zufolge neben der Verurteilung der Gewaltspirale zwischen Israelis und Palästinensern auch die Erklärung der Besorgnis über mögliche Vertreibungen von palästinensischen Familien aus Ostjerusalem vor. Diese Positionierung sei aber am Widerstand der USA gescheitert, hieß es.

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