Israel:Tech und Thora

Das Land möchte strengreligiöse Juden für Computer-Jobs gewinnen.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Das Heilige Buch der Juden erzählt von Wundern, archaischen Fehden, einem auserwählten Volk. Seine Sprache ist wortgewaltig, die Geschichten sind voll von göttlichen Interventionen - die Thora ist so ziemlich das Gegenteil von den Programmiercodes der Computerwelt. Deren Zahlenreihen machen zwar viele Wunder des Alltags erst möglich, sind aber denkbar nüchtern.

Doch die heilige Schrift und das Digitale scheint etwas zu verbinden: Durch intensives Thorastudium, haben Experten herausgefunden, bilden sich kognitive Fähigkeiten heraus, die eine gute Basis für Karrieren im Computerbusiness bilden. Dieses Potenzial will Israel nun erschließen: Unternehmensgründungen strengreligiöser Juden im Hightech-Bereich sollen über einen Zeitraum von zwei Jahren mit Subventionen von bis zu 1,6 Millionen Euro gefördert werden. Die Ultraorthodoxen - die gut zwölf Prozent der erwachsenen Israelis und 19 Prozent der sechs- bis 18-Jährigen ausmachen - könnten einmal Israels umtriebiger Digitalbranche helfen, der 15 000 Fachkräfte fehlen.

Die abgeschottete Welt des Thorastudiums und die grenzenlose des Internets, die einige digitale Sodom und Gomorrhas kennt, gingen bisher nicht ohne Weiteres zusammen. Mittlerweile machen Rabbiner aber Kompromisse. Auch wenn in manchen Gemeinden noch die Notwendigkeit zur Benutzung eines Telefons nachgewiesen werden muss, haben die meisten Ultraorthodoxen den Segen der Geistlichen, wenn sie koschere Smartphones benutzen, auf denen man keine SMS oder E-Mails verschicken kann. Jugendliche ab 16 Jahren dürfen unter Aufsicht ans Internet herangeführt werden, aber nur in die harmlosen Ecken. Die Rabbiner haben eine "weiße Liste" erstellt, einen Filter, der problematische Seiten blockiert. Erlaubt ist auch Hamikhlol, eine Wikipedia-Variante ohne Frauen und Evolution. Suchmaschinen wie 4Thora oder Koogle garantieren, dass die Ergebnisse vor allem eines sind: koscher.

Weil sich jedoch die Mehrheit der männlichen Ultraorthodoxen weiter nur dem Gottesdienst widmen wird, sehen die Strategen des israelischen Verbandes Start-up Nation Central die größten Zukunftschancen bei strenggläubigen Frauen. Sie sorgen in ultraorthodoxen Familien traditionell für den Lebensunterhalt. Der Verband will sie deshalb von Oktober an mit Qualifizierungsprogrammen an Jobs in der Digitalbranche heranführen, in der Ultraorthodoxe bisher nur 0,7 Prozent aller Arbeitnehmer stellen. "Diese Frauen sind unser Talentpool," sagt Ohad Reifen von Start-up Nation Central. "Wenn das funktioniert, dann wird das die Hightech-Industrie in Israel ändern."

Zwei Dinge müssen sie zumindest nicht lernen, bei allen Unterschieden gibt es Gemeinsamkeiten zwischen der digitalen und der heiligen Schrift: In beiden Fällen macht ein falscher Buchstabe alles zunichte - Computerprogramme funktionieren nicht mehr, Thorarollen mit Druckfehlern gelten Strenggläubigen als wertlos. Und das Lesen am Rechner dürfte orthodoxen Ultradigitalen leicht fallen: Die Blätter der Thora werden aneinandergeklebt und aufgerollt - ihre Leser "scrollen" sich durch den Text, in der Hand einen Lesestab, der wie ein Cursor funktioniert.

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