Israels Staatsetat:Bis zuletzt gedroht und gepokert

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Das israelische Parlament hat den umstrittenen Haushalt der rechts-religiösen Regierungskoalition gebilligt. (Foto: Maya Alleruzzo/DPA)

Premier Netanjahu feiert die Verabschiedung des Haushalts als großen Erfolg - hat die Zustimmung seiner rechten und religiösen Partner aber teuer erkauft. Das spaltet die Gesellschaft noch weiter.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Die Schlacht ist geschlagen, der Sieger triumphiert: "Wir machen für vier gute Jahre weiter", erklärte Premierminister Benjamin Netanjahu am Mittwochmorgen nach einer durchgemachten Nacht. Erst um sechs Uhr in der Früh war Israels Staatshaushalt für die Jahre 2023 und 2024 vom Parlament verabschiedet worden, nach heftigem Ringen. Der Regierungschef sieht seine Koalition nun stabilisiert. Die Opposition aber klagt lautstark über die Schlagseite des Budgets zugunsten der Rechten und Religiösen - und bescheinigt Netanjahu einen Pyrrhussieg, für den Israels Bürger noch teuer bezahlen müssten.

Der Etat für 2023 liegt bei umgerechnet rund 120 Milliarden Euro, für 2024 bei 130 Milliarden Euro. Zugestimmt haben am Ende alle 64 Abgeordnete der Koalition, doch diese Einmütigkeit hat einen hohen Preis und musste mit vielfältigen finanziellen Zugeständnissen erkauft werden. Schließlich war das Drohpotenzial groß: Ohne Verabschiedung eines Haushalts bis zum 29. Mai wäre das Parlament automatisch aufgelöst worden. Eine Neuwahl wäre fällig gewesen, an der vor allem Netanjahu nach einem Absturz in den Umfragen keinerlei Interesse hat.

Polizeiminister Ben-Gvir schlug noch einmal 65 Millionen Euro heraus

Wie üblich war deshalb fast bis zur letzten Minute gedroht und gepokert worden - und wie üblich hat sich das ausgezahlt. Itamar Ben-Gvir, der rechtsextreme Polizeiminister von der Partei Jüdische Stärke, schlug noch einmal umgerechnet rund 65 Millionen Euro heraus für die Entwicklung Galiläas und des Negev. Mit dem Geld will er die jüdische Präsenz stärken in den beiden Regionen mit starker arabischer Bevölkerung. Die Partei Vereinigtes Thora-Judentum sicherte sich die gleiche Summe für staatliche Stipendienzahlungen an Religionsstudenten.

Letzteres ist nur ein kleiner Aufschlag angesichts der ohnehin schon milliardenschweren Förderung für die Ultraorthodoxen. Mit diesem Geld sichert sich Netanjahu deren politische Unterstützung. Doch er betoniert damit zugleich die Herausbildung eine Parallelgesellschaft und vertieft den Graben zwischen frommen und säkularen Juden.

Die sogenannten Haredim, die Gottesfürchtigen, machen derzeit rund 13 Prozent der israelischen Bevölkerung aus. Ihre Zahl aber steigt schnell angesichts hoher Geburtenraten, jedes vierte Neugeborene entstammt einer ultra-orthodoxen Familie. Damit verschärfen sich die ohnehin schon augenfälligen Probleme: Die ultraorthodoxen Männer verbringen ihre Zeit zumeist mit dem Thora-Studium und sind deshalb vom Wehrdienst befreit. Nur etwa die Hälfte von ihnen geht einer Erwerbsarbeit nach. Zum gesamten israelischen Steueraufkommen tragen die Haredim lediglich zwei Prozent bei. Viele Familien leben von staatlichen Zuschüssen und dennoch unterhalb der Armutsgrenze.

Die Förderung ultraorthodoxer Schulen wird heftig kritisiert

Auf die Gefahren dieser Entwicklung hatten vor Verabschiedung des Haushalts Hunderte Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Regierungsmitarbeiter in einem Offenen Brief hingewiesen. Heftig kritisierten sie die Förderung ultraorthodoxer Schulen, in denen kaum Mathematik oder Englisch unterrichtet wird, sowie die späteren Stipendien für Religionsstudenten. Eine solche Verteilung von Haushaltsgeldern richte "ernste und langfristige Schäden an Israels Wirtschaft und seiner Zukunft als prosperierendem Staat" an. Schon in wenigen Jahrzehnten, so warnen sie, könne Israel auf das Niveau einer "Dritte-Welt-Wirtschaft" herabsinken.

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Ins gleiche Horn blasen nun die Oppositionspolitiker. Jair Lapid nannte das Budget "ein Desaster für Israels Wirtschaft und Israels Gesellschaft". Der frühere Verteidigungsminister Benny Gantz schimpfte, Israel sei "von einer extremistischen Koalition als Geisel genommen worden". Auch die breite Protestbewegung gegen die Pläne der Regierung zum Umbau des Justizsystems hat in jüngster Zeit den Fokus erweitert auf die Privilegien der Religiösen. Zur Parlamentsabstimmung über den Haushalt demonstrierten Tausende vor der Knesset gegen einen "Plünderung" öffentlicher Gelder.

Netanjahu zeigt sich davon unbeeindruckt. Nach der Verabschiedung des Haushalt rückt wieder ein anderes Thema hoch auf die Agenda: die Justizreform. Die seit März laufenden Gespräche mit der Opposition über einen Kompromiss haben noch kein Ergebnis gebracht. Nun droht der Streit wieder offen auszubrechen.

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