Israel:Krise nach 19 Tagen

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Israels Premier Naftali Bennett am Montag in der Knesset. (Foto: Menahem Kahana/AFP)

Die neue Koalition unter Premier Naftali Bennett erleidet ihre erste schwere Niederlage in der Knesset - sie zeigt, wie gespalten das Land weiterhin ist.

Von Paul-Anton Krüger, München

Die Regierung des neuen nationalkonservativen israelischen Premierministers Naftali Bennett war gerade einmal 19 Tage im Amt, als sie am frühen Dienstagmorgen ihre erste schwere Abstimmungsniederlage in der Knesset erlitt. Zwar überstand die Koalition aus acht Parteien, die Benjamin Netanjahu nach zwölf Jahren an der Spitze der Regierung abgelöst hatte, knapp die Vertrauensfrage. Sie kam aber nur auf 59 ihrer 62 Stimmen, als die Abgeordneten über die Verlängerung eines umstrittenen Zusatzes zum Staatsangehörigkeitsrecht zu entscheiden hatten.

Die zum Höhepunkt der zweiten Intifada im Jahr 2003 vom Parlament beschlossene und seither immer wieder verlängerte Regelung besagt, dass Palästinenser aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen auch dann weder die israelische Staatsangehörigkeit noch eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten, wenn sie einen israelischen Partner heiraten - normalerweise geht damit die Erteilung eines Visums einher und die spätere Möglichkeit der Einbürgerung.

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Offiziell begründet wurde die Einschränkung mit Sicherheitsbedenken: Auslöser war nach israelischer Darstellung ein Selbstmordanschlag in Haifa im März 2002, bei dem der Attentäter in einem Restaurant während der Pessach-Feiertage 16 Menschen mit in den Tod gerissen hatte. Der Terrorist, ein 20-jähriger Palästinenser aus Dschenin im Westjordanland, verfügte über eine israelische Staatsangehörigkeit und konnte sich damit anders als die meisten Palästinenser frei in Israel bewegen. Seine Mutter stammte aus dem Norden des Landes aus einem Dorf mit arabischer Bevölkerung, lebte aber ebenfalls in Dschenin. 2007 weitete Israel die Regelung auf Bürger aus Iran, dem Irak, Libanon und Syrien aus, die Jerusalem als feindliche Staaten einstuft.

Angehörige der arabischen Minderheit empfinden das Gesetz als diskriminierend

Aus Daten der Sicherheitsbehörden, die diese dem Parlament 2020 vorgelegt hatten, geht laut der New York Times hervor, dass in den vergangenen 20 Jahren mehrere Dutzend Palästinenser ihre durch Heirat erworbene Staatsangehörigkeit dazu missbraucht haben, Terrorattacken zu verüben oder Terroristen zu unterstützen. In den Jahren der Intifada verübten militante Palästinensergruppen wie die Hamas Dutzende Anschläge pro Jahr in Israel. Im vergangenen Jahr gab es keinen einzigen Fall. Allerdings seien Nachkommen aus solchen Ehen an Attacken beteiligt gewesen.

Indes räumen selbst Regierungspolitiker inzwischen offen ein, dass der Hauptgrund für die geplante weitere Verlängerung des Gesetzes die Demografie ist: Außenminister Jair Lapid, dessen liberale Partei Jesch Atid mit siebzehn der 120 Abgeordneten die stärkste Kraft der Koalition ist, nannte das Gesetz vor der Abstimmung "eines der Werkzeuge, die dafür bestimmt sind, die jüdische Mehrheit im Staat Israel sicherzustellen". Palästinenser, so die Befürchtung, könnten versuchen, durch Heirat mit arabischen Israelis die Zusammensetzung der Bevölkerung zu verändern.

Viele Angehörige der arabischen Minderheit in Israel, die etwa 21 Prozent der Bevölkerung ausmacht, empfinden das Gesetz als diskriminierend und rassistisch. Zwei Klagen vor dem Obersten Gericht überstand die Regelung jeweils nur mit der knappsten Mehrheit von einer Stimme. Selbst viele jüdisch-israelische Juristen werten die Regelung als Verstoß gegen die Grundgesetze des Staates.

Trotz vorheriger Bemühungen Bennetts um einen Kompromiss in der Koalition enthielten sich in der Abstimmung zwei der vier Abgeordneten der arabischen Raam-Partei, die erstmals der Regierung angehört. Zudem stimmte ein Abgeordneter von Bennetts nationalkonservativem Bündnis Jamina mit der Opposition.

Netanjahu wollte die Regierung zu Fall bringen

Die Abstimmung endete mit einem Patt von jeweils 59 Stimmen bei zwei Enthaltungen - zur Verlängerung wären 61 Stimmen nötig gewesen. Bennett hatte das Votum mit der Vertrauensfrage verknüpft. Um die Regierung zu Fall zu bringen hätte die Opposition unter der Führung von Netanjahus rechtem Likud aber ebenfalls 61 Stimmen benötigt.

Der hatte die Devise ausgegeben, es sei wichtiger, die "antizionistische" Regierung zu Fall zu bringen als das Staatsangehörigkeitsgesetz zu verlängern, das seine Partei inhaltlich befürwortet. Netanjahu kündigte an, einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen - ein neuer Versuch, die Koalition zu sprengen. Bennett warf ihm vor, seine politischen Interessen über die Sicherheit des Staates Israel zu stellen: Es gebe Dinge, mit denen man nicht spiele. "Was Bibi angeht, solange er nicht an der Macht ist, kann das Land in Flammen aufgehen", hieß es bei Jamina.

Israel kann weiterhin Palästinensern die Staatsangehörigkeit oder einen Aufenthaltstitel verwehren, allerdings nur im Zuge einer Einzelfallprüfung, bei der Betroffenen der Weg zu den Gerichten freisteht. Nach unterschiedlichen Schätzungen fallen 9000 bis 15 000 Palästinenser unter die nun ausgelaufene Regelung. Bisher konnten Frauen, die älter sind als 25 Jahre und Männer über 35 zeitlich befristete Aufenthaltstitel beantragen.

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