Israel:Proteste auf den Straßen - und eine Rüge aus Berlin

Israel: Polizisten versuchten mit Wasserwerfern, Demonstranten von der Autobahn in Tel Aviv zu vertreiben.

Polizisten versuchten mit Wasserwerfern, Demonstranten von der Autobahn in Tel Aviv zu vertreiben.

(Foto: Nir Elias/Reuters)

Die Knesset hat ein Gesetz abgeschafft, das Israelis verbot, bestimmte Siedlungen im Westjordanland zu bewohnen. Es ist das Gegenteil der mit den Palästinensern vereinbarten Deeskalation. Im ganzen Land wird demonstriert - auch gegen die Justizreform.

Von Paul-Anton Krüger und Sina-Maria Schweikle, Berlin/München

Mehr als eine halbe Million Menschen sind am Donnerstag in Israel auf die Straße gegangen, um gegen Maßnahmen der rechtsgerichteten Regierung zu protestieren. Die Polizei rückte mit Wasserwerfern und auf Pferden aus, um in Tel Aviv die von Demonstranten blockierte Autobahn freizumachen, es gab mehr als 50 Festnahmen. In der Nacht hatte das israelische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das eine Amtsenthebung des Ministerpräsidenten erschwert. Es ist auf Benjamin Netanjahu zugeschnitten, der derzeit wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht steht.

Außerdem hob die Knesset ein Gesetz aus dem Jahr 2005 auf, mit dem die Räumung von vier jüdischen Siedlungen im Westjordanland angeordnet worden war. Das Gesetz verbot Israelis, in Homesch, Fanim, Kadim und Sanur zu leben - Siedlungen, die im Norden des Westjordanlands zwischen den palästinensischen Städten Dschenin und Nablus errichtet worden waren. Es legte die Grundlage für den einseitigen Rückzug Israels aus dem Gazastreifen und den vier Siedlungen.

Schon kurz nachdem die Knesset es außer Kraft gesetzt hatte, durchbrachen israelischen Medienberichten zufolge etwa 150 Personen den Kontrollpunkt des Militärs bei Homesch und drangen in die Siedlung ein. Der Parlamentsbeschluss ist eine der ersten großen Maßnahmen der nationalistisch-religiösen Koalition von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

Berlin nennt den Schritt "gefährlich"

Die Bundesregierung kritisiert den Vorgang ungewöhnlich deutlich als einen "gefährlichen Schritt hin zu möglichen Siedlungsaktivitäten". Man sei "sehr besorgt", dass sich die ohnehin angespannte Sicherheitslage im Westjordanland weiter verschärfen könnte, erklärte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes. Das Amt rät derzeit von Reisen in das Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalem ab.

Die Gesetzesänderung steht klar im Widerspruch zu der am Sonntag in Ägypten unter Beteiligung der USA und Jordaniens erzielten Einigung über eine Deeskalation. Dabei hatten sich Israelis und Palästinenser dazu verpflichtet, für vier bis sechs Monate auf "einseitige Maßnahmen" zu verzichten. Ziel sei ein "umfassender, gerechter und dauerhafter Frieden", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung.

Auch das US-amerikanische Außenministerium kritisierte den Beschluss in der Knesset. Die Entscheidung "komme in einer Zeit erhöhter Spannungen und sei eine Provokation und kontraproduktiv für die Bemühungen, ein gewisses Maß an Ruhe wiederherzustellen", sagte ein Sprecher. "Wir fordern Israel auf, die Rückkehr von Siedlern in das Gebiet nicht zuzulassen".

Ungeachtet der internationalen Friedensbemühungen hatte Israels Finanzminister Bezalel Smotrich kürzlich bei einer Rede in Paris den Palästinensern das Existenzrecht abgesprochen. "Ich würde Sie gerne fragen, welche Sprache die Palästinenser sprechen? Gab es irgendwann in der Geschichte eine palästinensische Münze? Gibt es eine palästinensische Geschichte oder eine palästinensische Kultur? Es gibt keine. So etwas wie ein palästinensisches Volk gibt es nicht", sagte der Politiker der ultrarechten Partei Religiöser Zionismus.

Oppositionsführer Lapid ruft dazu auf, den "Wahnsinn" zu stoppen

Auf Smotrichs Rednerpult soll Medienberichten zufolge eine Landkarte gelegen haben, auf der Israel das besetzte Westjordanland und sogar Teile Jordaniens mit einschloss. Das jordanische Außenministerium bestellte daraufhin umgehend den israelischen Botschafter in Amman ein. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bezeichnete Smotrichs Äußerungen als inakzeptabel.

Die Regierung von Premier Netanjahu ist die rechteste, die Israel je hatte. Neben Netanjahus konservativer Likudpartei und zwei ultraorthodoxen Parteien gehören ihr Smotrichs rechtsextreme Partei Religiöser Zionismus sowie die ebenfalls rechtsextreme Jüdische Stärke an. Deren Abgeordnete Limor Son Har-Melech forderte nach dem Knesset-Beschluss eine rasche Wiedererrichtung der vier Siedlungen sowie eine Rückkehr in die 21 einst geräumten Siedlungen im Gazastreifen, die "ein Nest des Terrors" geworden seien. Har-Melech sprach von einer "historischen Korrektur" nach "18 Jahren Deportation, Zerstörung und Verfolgung aller, die versucht haben, in das Gebiet der geräumten Siedlungen zurückzukehren".

Oppositionsführer Yair Lapid warnte davor, dass unter der aktuellen Regierung die nationale Sicherheit zusammenzubrechen drohe. Den Verteidigungsminister Joav Galant rief er dazu auf, den "Wahnsinn" zu stoppen. Wegen der Eskalation in Israel verschob Ministerpräsident Netanjahu seine für Donnerstagnachmittag geplante Abreise zu einem Besuch in London.

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