Süddeutsche Zeitung

Israel und Deutschland:Maas' unmöglicher Auftrag

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Bei seinem Besuch in Jerusalem muss der Bundesaußenminister klarmachen, warum Berlin und er die geplante Annexion besetzter Gebiete für falsch halten. Netanjahu wird das nicht hören wollen.

Kommentar von Daniel Brössler

Mit der Wahl seines ersten außereuropäischen Reiseziels nach Beginn der Corona-Pandemie folgt Heiko Maas einer fast physikalisch zu nennenden Gesetzmäßigkeit der deutschen Diplomatie. Sie steht unter dem Druck, sich gerade dort zu bewähren, wo ihr Spielraum besonders klein ist. Der Außenminister wird an diesem Mittwoch in Jerusalem als erster Ausländer von der neuen israelischen Regierung empfangen. US-Außenminister Mike Pompeo war zwar auch schon da, aber noch vor Amtsantritt der neuen Regierung. Maas' nahezu unmögliche Mission besteht nun darin, jene von Pompeo zu konterkarieren. Ermuntert von den USA, bereitet die Koalition unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Benny Gantz die Annexion von Teilen des Westjordanlandes nach dem 1. Juli vor. Im Namen der Europäer soll Maas versuchen, sie davon abzubringen. Es ist eine Kraftprobe, die praktisch nicht zu gewinnen ist, und doch einen Versuch wert bleibt.

Deutschland spielt im nahöstlichen Drama mittlerweile eine Sonderrolle, die so von keinem anderen Akteur übernommen werden kann. Seit sich Joschka Fischer 2001 nach einem Selbstmordanschlag während eines Besuchs in Israel spontan als Pendeldiplomat betätigte, hat kein deutscher Außenminister es mehr gewagt, sich aus den Friedensbemühungen vornehm herauszuhalten. Wenn aus der historischen Verantwortung für den Holocaust die Sicherheit Israels als Teil deutscher Staatsraison resultiert, verbietet das Passivität. Dass dazu nicht nur Waffenlieferungen gehören, sondern auch Widerworte, ist zur Normalität geworden im deutsch-israelischen Verhältnis.

Gerade im permanenten diplomatischen Ausnahmezustand, den US-Präsident Donald Trump schafft, fällt der deutschen Diplomatie eine Spezialaufgabe zu. So groß die Versuchung in Israel ist, sich ganz auf Trumps dröhnende Freundschaft und seinen einseitigen Friedensplan zu stützen, so sehr muss versucht werden, in Jerusalem Zwischentöne hörbar zu machen. Das kann und wird scharfen Kritikern der israelischen Politik wie den Skandinaviern oder Frankreich ebenso wenig gelingen wie jenen, die wie Österreich oder Ungarn ganz im Sinne Trumps Israel jede Kritik ersparen wollen. So wird nicht zuletzt die deutsche Stimme für Israel zum Indikator für den Ernst der Lage.

Und ernst ist sie. Über die vergangenen Jahrzehnte haben sich Diplomatie und Konflikt in Nahost dadurch ausgezeichnet, nirgendwohin zu führen. Die Zwei-Staaten-Lösung rückte nicht näher, aber der Weg zu ihr wurde auch nicht versperrt. Das ist nun anders. Mit der Annexion des Jordantals würden Fakten geschaffen, Aufruhr in den besetzten Gebieten provoziert und der Frieden mit Jordanien aufs Spiel gesetzt. Verantwortung für die weitere Entwicklung tragen aber auch die Palästinenser, weshalb es widersinnig ist, Maas unter Verweis auf die Corona-Regeln einen Abstecher nach Ramallah zu verwehren.

Die dringliche Aufgabe des deutschen Außenministers besteht nun darin, Netanjahu und dessen liberaleren Koalitionären klarzumachen, wie scharf der internationale Gegenwind ausfallen wird. Zu befürchten ist, dass sie nur den genehmen Teil seiner Botschaft hören werden - dass es keine EU-Sanktionen geben wird und auch keine Anerkennung Palästinas.

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SZ vom 10.06.2020
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