Süddeutsche Zeitung

Israel:Ein Schatten fällt auf Schimon Peres

Zwei Frauen berichten von sexuellen Übergriffen durch den 2016 gestorbenen Staatsmann und Friedensnobelpreisträger.

Von Peter Münch, Tel Aviv

In seinem langen Leben hat Schimon Peres viele Höhen erklommen. Er diente Israel als Minister, Premierminister und Staatspräsident. Für die Bemühungen um einen Ausgleich mit den Palästinensern wurde er 1994 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Über seinen Tod hinaus - er starb 2016 im Alter von 93 Jahren - wird er in der Heimat und der Welt verehrt als Visionär und politisch-moralische Instanz. Doch nun wirft der Vorwurf sexueller Übergriffe einen Schatten auf den Nachruhm - und in Israel entfaltet sich, zunächst noch eher zaghaft, eine schwierige Debatte.

Colette Avital heißt die Frau, die das Land aufhorchen ließ und ambivalente Reaktionen auslöste mit einem langen Interview, das sie der Tageszeitung Haaretz gab. "Er drückte mich gegen die Tür und versuchte, mich zu küssen", so schildert sie darin einen Vorfall aus dem Jahr 1984, als sie den damaligen Regierungschef Peres für ein Bewerbungsgespräch in seinem Büro aufsuchte. Sie habe ihn "weggestoßen und mit zitternden Beinen" den Raum verlassen.

Dies war Avital zufolge nicht der erste Übergriff. Schon gut zwei Jahre zuvor, als sie für das israelische Außenministerium auf Posten in Paris war, habe Peres sie bei einem seiner Frankreich-Besuche zu einem Arbeitsfrühstück ins Hotel eingeladen. Aus Sicherheitsgründen, so sei ihr bei der Ankunft vermittelt worden, solle die Besprechung in seinem Zimmer stattfinden. Peres habe sie dort im Pyjama empfangen und in Richtung Bett geschubst. Wenige Sekunden habe das nur gedauert, sie sei sofort aus dem Zimmer geflohen.

"Wir reden über eine Zeit, in der Männer dachten, sie dürften das."

Avital, die heute 81 Jahre alt ist und immer noch aktiv als Vorsitzende eines Dachverbands von Holocaust-Organisationen, ist in Israel als Diplomatin und Politikerin bekannt. Von 1999 bis 2009 saß sie für die Arbeitspartei, der auch Peres angehörte, im Parlament. 2007 kandidierte sie sogar gegen Peres bei der Präsidentenwahl. Die beiden pflegten auch nach den von Avital geschilderten Vorgängen teils enge Beziehungen - und Avital nutzte das Interview in Haaretz zugleich, um sich gegen alte Gerüchte zur Wehr zu setzen, sie sei die Geliebte von Peres gewesen und habe ihm ihre Karriere zu verdanken.

Für ihr rund 40 Jahre andauerndes öffentliches Schweigen nennt sie zwei Gründe: "Damals hätte man über mich gelacht", sagt sie. "Wir reden über eine Zeit, in der Männer dachten, sie dürften das." Im Laufe ihrer Karriere sei ihr Ähnliches gleich mehrfach widerfahren und sie habe gelernt, sich dagegen zu wehren.

Zugleich spricht sie davon, dass sie Peres als Politiker "verehrt" habe. In den späteren Jahren der Zusammenarbeit seien keine Übergriffe mehr vorgekommen. Es gehe ihr nun nicht um persönliche Aufmerksamkeit oder um eine Schlagzeile, versichert sie. Aber sie sei direkt danach gefragt worden und habe es nicht abstreiten wollen. "Es war die richtige Zeit jetzt", sagt sie. "Junge Frauen sollen wissen, dass sie nicht Opfer sein und so etwas über viele Jahre mit sich herumtragen müssen."

Am Wochenende berichtete der israelische Fernsehsender Channel 12 noch von einer weiteren Frau, die ähnliche Vorwürfe gegen Peres erhebt. Sie wurde nicht namentlich, sondern nur als "hochrangige Mitarbeiterin" vorgestellt, die von "furchtbaren Erinnerungen" an Peres berichtete, die sie bis zum heutigen Tag verfolgten. "Es ist entmutigend, aber es scheint einige Fälle wie diesen zu geben", kommentierte Avital.

In Israels politischer Landschaft sind Berichte über sexuelle Übergriffe mächtiger Männer gewiss nichts Neues. Mosche Katzav, der direkte Vorgänger von Peres im Präsidentenamt, hatte sogar wegen Vergewaltigung zurücktreten und eine fünfjährige Gefängnisstrafe absitzen müssen. Die prominentesten Fälle betrafen bislang jedoch meist Politiker aus dem rechten Spektrum. Dass nun jedoch in Peres ein Säulenheiliger des linken und liberalen Lagers beschuldigt wird, sorgt für einige irritierende Äußerungen in der Diskussion.

So meldete sich Anat Maor, eine frühere Abgeordnete der linken Meretz-Partei, mit einem scharfen Angriff auf Avital zu Wort: "Ich und viele andere sind sehr enttäuscht von deinen Enthüllungen", erklärte sie. Zum einen seien die Vorwürfe "eine Respektlosigkeit gegenüber Opfern ernsthafter Übergriffe". Vor allem aber warnte sie vor "großem Schaden", weil die Vorwürfe gegen Peres nun genutzt würden, um den "Friedensprozess und die Osloer Verträge zu beschädigen".

Colette Avital regierte auch darauf. "Als Israelis verdanken wir Schimon Peres unsere Sicherheit", sagte sie. "Ich habe wirklich an seine Vision geglaubt und ihn sehr geschätzt. Aber ich habe diese Dinge zu trennen gewusst."

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