Vor der Parlamentswahl in Israel:Zündeln für den Wahlsieg

Vor der Parlamentswahl in Israel: Er nennt sich "Hausherr" im Viertel Scheich Dscharrah in Ostjerusalem, dessen Bewohner vor allem arabischstämmig sind: Itamar Ben-Gvir tritt für ein rechtsextremes Parteienbündnis an.

Er nennt sich "Hausherr" im Viertel Scheich Dscharrah in Ostjerusalem, dessen Bewohner vor allem arabischstämmig sind: Itamar Ben-Gvir tritt für ein rechtsextremes Parteienbündnis an.

(Foto: Ilia Yefimovich/dpa)

Mit ultrarechten und rassistischen Parolen schießen die Religiösen Zionisten in allen Umfragen nach oben. Sie könnten nun drittstärkste Kraft werden und Netanjahu wieder zur Macht verhelfen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Vor ein paar Tagen hat er die Waffe gezogen, mitten in Ostjerusalem, mitten in einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Arabern und israelischen Sicherheitskräften. Als sich der Aufruhr andeutete, war Itamar Ben-Gvir mit Gefolgschaft sofort nach Scheich Dscharrah geeilt und hatte den dort lebenden arabischen Bewohnern zugerufen, nun sei der "Hausherr" da. Als daraufhin Steine flogen, zog er die Pistole. Geschossen hat er nicht, stattdessen hat er die israelischen Polizisten aufgefordert, das Feuer auf die Steinewerfer zu eröffnen. Und so stolz war er auf seine Aktion, dass er hinterher ein Foto postete von sich mit der Waffe.

Wo es ein Feuer gibt, ist Ben-Gvir gern mit dem Ölfass zur Stelle. Politik betreibt er als permanente Provokation, und mit rassistischen Parolen und Araber-Hass hat er es weit gebracht im laufenden israelischen Wahlkampf. Die Religiösen Zionisten, für die er am 1. November antritt, sind der Sensationsaufsteiger in allen Umfragen. Statt bislang sechs werden ihnen nun 12 bis 14 Mandate vorhergesagt. Sie dürften damit drittstärkste Kraft im 120-köpfigen Parlament werden - und ein kräftiger Stützpfeiler für den Likud-Chef Benjamin Netanjahu, der nach gut einem Jahr in der Opposition die Macht mit einem rechts-religiösen Block zurückerobern will.

Öffentlich fiel Ben-Gvir erstmals auf, als er Jitzchak Rabin bedrohte

Ben-Gvir und die Seinen dürfen sich also Hoffnung auf Ministerämter machen in einer Regierung, wie sie Israel und Israels Freunde in der Welt so noch nicht gesehen haben. Aus Washington kommen schon erste Warnungen von jüdischen Gruppen und aus der Demokratischen Partei, dass dies mehr als nur einen Imageschaden hervorbringen könnte. Doch die Religiösen Zionisten erheben vorsorglich bereits die Forderung nach bis zu fünf Kabinettsposten, darunter die Ressorts für Verteidigung, Finanzen und Justiz.

Ins Zentrum der Macht könnten damit die Nachfolger einer Bewegung aufsteigen, die in Israel in den Achtzigerjahren verboten worden war. Ben-Gvir gehört zu den Schülern des Rabbis Meir Kahane, der die Beseitigung der liberalen Demokratie und eine Vertreibung der Araber aus Israel propagiert hatte. Kahane wurde 1990 bei einem Attentat in New York getötet, Ben-Gvir führte den Kampf fort.

Erstmals ins öffentliche Bewusstsein kam der heute 46-Jährige 1995 auf dem Höhepunkt des Streits um die Friedensverträge von Oslo, als er das Cadillac-Emblem vom Dienstwagen des damaligen Premiers Jitzchak Rabin in eine Kamera hielt und verkündete: "Wir sind zu seinem Auto gekommen, wir können auch ihn erreichen." Wenig später wurde Rabin von einem jüdischen Extremisten ermordet.

Vor der Parlamentswahl in Israel: Der langjährige Premier Benjamin Netanjahu will zurück an die Macht, dafür verbündet er sich auch mit Extremisten.

Der langjährige Premier Benjamin Netanjahu will zurück an die Macht, dafür verbündet er sich auch mit Extremisten.

(Foto: Abir Sultan/dpa)

Als Anwalt spezialisierte Ben-Gvir sich später auf die Verteidigung jüdischer Radikaler. Zu Hause in Hebron, wo er als Siedler mit Frau und fünf Kindern lebt, machte er es sich unter einem Bild von Baruch Goldstein gemütlich, der 1994 am Grab des Patriarchen ein Massaker mit 29 Toten unter betenden Muslimen angerichtet hatte. Im aktuellen Wahlkampf gibt er sich auch mal moderater und beteuert, heute sei Goldstein für ihn "kein Held mehr".

Für viele seiner Anhänger aber ist er nun selbst ein Held, wenn er an den Brennpunkten des Konflikts Flagge zeigt. Zum Jerusalem-Tag Ende Mai marschierte er durchs Damaskustor in die Altstadt, umringt von einer Gefolgschaft, die "Tod den Arabern" skandierte. Mittlerweile geht er auch gern in Tel Aviv auf Stimmenfang, der Hochburg der Linken und Liberalen in Israel. Im Süden der Stadt führte er neulich eine Demonstration gegen die dort lebenden Migranten an, die von den Rechten nur "illegale Eindringlinge" genannt werden. Auch in Schulen taucht er auf und postet gern, wie er dort von jungen Fans gefeiert wird.

Das Land rückt nach rechts, gerade die Jungen tragen dazu bei

Ben-Gvir drängt in den Mainstream, und er hat dabei zwei Helfer: den Zeitgeist - und Netanjahu. Der Zeitgeist steht für den seit Längerem zu beobachtenden Rechtsruck in Israel. Einer Studie des Israel Democracy Instituts zufolge rechnen sich 60 Prozent der Israelis dem rechten Lager zu. Bei der Jugend sind es sogar 70 Prozent. Für einen wachsenden Teil sind nun offenbar auch Ben-Gvir und seine Kampfgefährten salonfähig geworden.

Gesorgt hat dafür vor allem Netanjahu. Bei der vorigen Wahl im März 2021 zog er die Fäden für einen Zusammenschluss von Ben-Gvirs Partei Otzma Jehudit (Jüdische Stärke) mit den Religiösen Zionisten von Bezalel Smotrich und der explizit homophoben Noam-Partei. Ziel war es, keine einzige rechte Stimme durch ein Scheitern an der 3,25 Prozenthürde zu vergeuden. So zog Ben-Gvir, dessen 2012 gegründete Partei zuvor immer nur eine marginale Kraft am rechten Rand war, mit Fanfaren erstmals ins Parlament ein. Diese Bühne hat er dann weidlich genutzt.

Auch im Vorlauf zur jetzigen Wahl blieb Netanjahu die treibende Kraft. Als Smotrich und Ben-Gvir zu streiten begannen, lud er die beiden in seine Villa in Caesaria und presste sie in ein neues Wahlbündnis. Seither treffen sich Netanjahu und Ben-Gvir israelischen Medienberichten zufolge regelmäßig, um den Kurs abzustecken.

Netanjahu könnte dabei allerdings das Schicksal des Zauberlehrlings drohen, der seiner gerufenen Geister nicht mehr Herr wird. Denn ein Teil des Stimmenzuwachses der Religiösen Zionisten könnte zu Lasten des Likud gehen. Bei einer Veranstaltung am Montag hatte das schon eine kuriose Folge. Ben-Gvir stand auf der Bühne, Netanjahu sollte als nächster Redner kommen. Doch um ein gemeinsames Foto zu vermeiden, blieb er Berichten zufolge so lange in seinem Auto sitzen, bis Ben-Gvir tatsächlich weg war.

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