Süddeutsche Zeitung

Regierungsbildung in Israel:Die Rivalen einigen sich

  • Ministerpräsident Netanjahu und Oppositionsführer Gantz unterschreiben eine Vereinbarung für eine "nationale Notstandsregierung".
  • Netanjahu bleibt zunächst Ministerpräsident und könnte danach für das Präsidentenamt kandidieren.
  • Auch der Chef der rechtsnationalen Likud-Partei konnte bei den Verhandlungen viele seiner Forderungen durchsetzen: So soll im Juli die Annexion von Teilen des Westjordanlandes beginnen.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Nach drei Wahlen gibt es in Israel wieder eine Regierung, die sich auf eine parlamentarische Mehrheit stützen kann. Am Montagabend haben der amtierende Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Oppositionsführer Benny Gantz eine Vereinbarung über eine "nationale Notstandsregierung" unterzeichnet. "Wir haben eine vierte Wahl verhindert. Wir werden die Demokratie sichern", verkündete Gantz auf Twitter.

Der Koalition werden Netanjahus Partner aus rechten und religiösen Parteien angehören sowie Gantz' blau-weiße Partei und die Arbeitspartei. Netanjahu, der jetzt bereits auf 13 Jahre als Ministerpräsident verweisen kann, wird damit weitere eineinhalb Jahre Regierungschef bleiben. Der Chef der rechtsnationalen Likud-Partei konnte bei den Verhandlungen viele seiner Forderungen durchsetzen.

Aktuelles zum Coronavirus - zweimal täglich per Mail oder Push-Nachricht

Alle Meldungen zur aktuellen Lage in Deutschland und weltweit sowie die wichtigsten Nachrichten des Tages - zweimal täglich im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Newsletter bringt Sie auf den neuesten Stand. Kostenlose Anmeldung: sz.de/morgenabend. In unserer Nachrichten-App (hier herunterladen) können Sie den Nachrichten-Newsletter oder Eilmeldungen auch als Push-Nachricht abonnieren.

So soll die Annexion von Teilen des Westjordanlandes im Juli beginnen. Dies dürfte das Jordantal und jene Gebiete, auf denen die Israelis ihre Siedlungen haben, betreffen. Zu diesen Absichten, die eine Umsetzung der Pläne von US-Präsident Donald Trump bedeuten, gab es am Montagabend eine erste Reaktion des palästinensischen Ministerpräsidenten Mohammed Staje: "Das bedeutet das Ende der Zwei-Staaten-Lösung und die Demontage der Rechte der Palästinenser."

Ein weiterer Teil der Vereinbarung ist, dass Netanjahu nach 18 Monaten das Amt des Ministerpräsidenten an Gantz abgibt, aber weiter in der eigentlich Regierungschefs vorbehaltenen Residenz wohnen darf. Bis zum Wechsel an die Regierungsspitze im Oktober 2021 will Gantz, der früher Generalstabschef der Armee war, als Verteidigungsminister und Vize-Premierminister fungieren. Außenminister soll sein Mitstreiter Gabi Aschkenazi werden, ebenfalls ein ehemaliger Armeechef. Justizminister soll Gantz' Verbündeter Avi Nissenkorn werden.

Dem Kabinett sollen insgesamt 36 Minister und 16 Stellvertreter angehören - es wird das größte in der Geschichte des Landes sein. Amir Peretz, der Chef der Arbeitspartei, bekommt das Wirtschaftsressort übertragen, sein Parteifreund Itzik Schmuli das Sozialministerium. Der bisherige Außenminister Israel Katz von der Likud-Partei wird Finanzminister. Die bisherige Kulturministerin Miri Regev soll für öffentliche Sicherheit zuständig werden.

Gesundheitsminister Jaakov Litzman von der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes Tora-Judentum soll sein Amt genauso behalten wie Innenminister Arye Deri von der Schas-Partei. Parlamentspräsident soll der Likud-Politiker Jariv Levin werden. Falls die den Siedlern nahestehende Jamina-Partei der Koalition weiter angehört, soll sie das Bildungsressort besetzen können.

Als Präsident würde Netanjahu Immunität genießen

Bis zum Schluss blieben der Umgang mit der Justiz und Netanjahus Forderungen nach Immunität das größte Hindernis bei den Verhandlungen. Netanjahu bekommt laut Medienberichten ein Vetorecht bei der Ernennung des nächsten Generalstabschefs und der Staatsanwälte. Wegen der Corona-Ausbreitung wurde der Beginn des Prozesses gegen ihn auf den 24. Mai verschoben.

Netanjahu ist in drei Fällen wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue angeklagt. Die für eine Notstandsregierung ungewöhnlich lange Periode von drei Jahren würde es Netanjahu ermöglichen, im Sommer nächsten Jahres vom Amt des Regierungschefs zu jenem des Präsidenten zu wechseln. Reuven Rivlins Amtszeit endet Mitte 2021. Solange bis dahin kein Urteil vorliegt, kann Netanjahu kandidieren. Als Präsident würde Netanjahu Immunität genießen - die volle Amtszeit von sieben Jahren.

Netanjahu wollte sich auch absichern für den Fall einer Entscheidung des Höchsten Gerichts, dass er wegen seiner Korruptionsanklagen nicht als Ministerpräsident oder Vize-Ministerpräsident amtieren kann. Er forderte laut israelischen Medienberichten einen Mechanismus zur Umgehung eines solchen Urteils als Teil der Koalitionsvereinbarung. Ob dies nun in den Vertrag aufgenommen wird, war am Montagabend noch unklar.

Gantz' frühere Mitstreiter im blau-weißen Bündnis bezichtigen ihn des Verrats. Denn Gantz hat sein Wahlversprechen, nie mit Netanjahu in einer Regierung sitzen zu wollen, gebrochen. In Israel wird spekuliert, dass sein abrupter Sinneswandel mit Inhalten auf seinem Handy, das während des Wahlkampfes gehackt wurde, etwas zu tun haben könnte. Gantz begründet seine Haltungsänderung mit der Corona-Krise, die gemeinsame Anstrengungen nötig mache, und dass er eine vierte Wahl in so kurzer Zeit unbedingt verhindern wollte.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4883363
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.04.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.