Süddeutsche Zeitung

Regierungsbildung:In Israel muss das Parlament entscheiden

  • In Israel sind der amtierende Ministerpräsident Netanjahu und Oppositionsführer Benny Gantz trotz Fristverlängerung daran gescheitert, eine Koalition zu bilden.
  • Präsident Rivlin hat nun das Mandat zur Regierungsbildung an das Parlament übergeben.
  • Sollte auch dort eine Einigung scheitern, wird es zum vierten Mal binnen 16 Monaten zu Wahlen kommen.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Nun ist auch Israels Präsident Reuven Rivlin der Geduldsfaden gerissen: Am Donnerstagmorgen übergab er das Mandat zur Regierungsbildung an die Knesset. Drei Wochen haben nun die Abgeordneten Zeit, sich mit Mehrheit auf einen Kandidaten aus ihren Reihen zu verständigen, der das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen und eine Koalition bilden soll.

Um Mitternacht war das von Rivlin zuvor um 48 Stunden verlängerte Mandat von Oppositionsführer Benny Gantz ausgelaufen. Obwohl Gantz gemeinsam mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in der Nacht eine Erklärung herausgegeben hat, dass im Laufe des Tages weiter verhandelt werden soll mit dem Ziel, "eine nationale Notstandsregierung zu bilden", gewährte Rivlin keine weitere Verlängerung. Sollten allerdings Netanjahu und Gantz in den nächsten 21 Tagen tatsächlich eine Vereinbarung zustande bringen, hätten sie mit ihren Abgeordneten in der Knesset die nötige Mehrheit.

Zum zweiten Mal in der Geschichte ist damit das Parlament mit der Regierungsbildung betraut. Rivlin drängte erneut auf die Bildung einer Einheitsregierung, wie die große Koalition in Israel genannt wird. "Ich hoffe, dass die Knesset-Mitglieder es schaffen, eine Mehrheit zu finden, um möglichst bald eine Regierung zustandezubringen und eine vierte Wahlrunde zu verhindern", erklärte Rivlin. Für eine Mehrheit braucht es 61 der 120 Abgeordneten. Netanjahus bisherige Koalition bringt es auf 58 Sitze in der Knesset.

Dass nun nicht mehr Gantz das Verhandlungsmandat hat, verschafft Netanjahu eine günstigere Position, denn sein politischer Rivale steht düpiert da. Außerdem ist das von Gantz geführte blau-weiße Parteienbündnis zerbrochen, weil seine bisherigen Partner nicht mit Netanjahu Koalitionsgespräche führen wollten. Gantz hat sein zentrales Wahlversprechen, dass er nie mit einem Angeklagten in einer Regierung sitzen wolle, gebrochen. Er begründet seine Haltungsänderung mit den Herausforderungen durch die Corona-Krise, die am besten durch eine große Koalition zu bewältigen sei.

Immunitätsregeln für Netanjahu diskutiert

Netanjahu ist wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue in drei Fällen angeklagt - als erster Regierungschef in der Geschichte Israels. Der Beginn des Prozesses gegen ihn wurde wegen des Notstands durch Corona verschoben. Ein zentraler Streitpunkt in den Verhandlungen ist laut israelischen Medienberichten die Forderung von Netanjahus rechtsnationaler Likud-Partei nach einem Vetorecht bei der Besetzung von Richtern. Außerdem will Netanjahu auch Regierungschef bleiben können, sollte ihm das Oberste Gericht diese Position aufgrund seiner Korruptionsanklage verweigern. Diskutiert wurden auch Immunitätsregeln für Netanjahu, der alle Vorwürfe zurückweist.

Grundsätzlich war eine Rotation im Amt des Ministerpräsidenten vorgesehen, wobei Netanjahu die erste Amtszeit übernehmen wollte. Nur als Ministerpräsident darf er nach Anklagen im Amt bleiben, als Minister müsste er zurücktreten. Würde er im Sommer 2021 nach Ablauf der Periode Rivlins als Präsident kandidieren und die Wahl gewinnen, würde er während dieser Amtszeit Immunität genießen.

Israel wird seit Ende 2018 von einer Übergangsregierung unter Netanjahu verwaltet. Am 2. März hatten die Bürger das dritte Mal innerhalb eines Jahres ein neues Parlament gewählt. Die Ausgangslage bei einer vierten Wahl würde sich für Netanjahu deutlich verbessern, denn inzwischen haben sich zwei Oppositionsparteien gespalten und sind damit deutlich geschwächt.

Laut neuesten Umfragen würde Netanjahu auch wegen seines resoluten Auftretens in der Corona-Krise, das bei den Bürgern gut ankommt, mit seinem Likud vier Mandate mehr erreichen und auf 40 Sitze in der Knesset kommen. Seine bisherige Koalition könnte 71 Mandate erreichen - zehn mehr als die erforderliche Mehrheit für eine Regierungsbildung. Gantz würde mit Blau-Weiß nur noch auf 19 Sitze kommen, seine bisherigen Partner auf zehn. Zusammen waren sie am 2. März auf 33 Sitze gekommen. Die Arbeitspartei, die sich der Einheitsregierung anschließen wollte, würde den Sprung in die Knesset gar nicht mehr schaffen. Ihr bisheriger Partner, die linke Meretz-Partei, könnte hingegen knapp reinkommen.

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