Süddeutsche Zeitung

Israel:Tod eines Grenzpolizisten löst Kritik an der Armee aus

Ein israelischer Grenzpolizist stirbt nach einem Einsatz am Gazastreifen. Nun richtet sich der Zorn gegen den Regierungschef - und das eigene Militär.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Als Held wird er nun überall betrauert in Israel. "Ein Kämpfer im Leben und ein Kämpfer im Tod", so hat Israels Premierminister Naftali Bennett den jungen Grenzpolizisten Barel Hadaria Schmueli beschrieben. Mit 21 Jahren war er vor gut zwei Wochen bei Unruhen an der Grenze zum Gazastreifen angeschossen worden. Neun Tage später erlag er den Verletzungen. Doch seither wird nicht nur getrauert im Land, sondern auch erbittert darüber gestritten, warum Schmueli bei seinem Einsatz nicht besser geschützt war und wer verantwortlich ist für seinen Tod.

Gefährlich werden kann das nicht nur für den erst seit drei Monaten amtierenden Regierungschef Bennett, dem ein Versagen in der Sicherheitspolitik vorgeworfen wird. Mehr noch steht auf dem Spiel: Denn in die Mühlen politischer Interessen droht in dieser Debatte auch die Armee zu geraten, die im israelischen Selbstverständnis bislang jenseits aller Streitereien für den gesellschaftlichen Zusammenhalt steht.

Schmueli war am 21. August als Scharfschütze an der Gaza-Grenze im Einsatz, als dort wieder einmal von der Hamas geschickte Demonstranten die israelischen Sicherheitskräfte herausforderten. Die protestierende Menge stürmte vor bis zur Grenzbefestigung. Auf einem von palästinensischer Seite veröffentlichten Video ist zu sehen, wie einer der Demonstranten plötzlich eine Pistole zieht und in eine jener Schießscharten im Betonwall feuert, an denen die israelischen Scharfschützen postiert sind. Schmueli wird am Kopf getroffen.

Die aufgewühlten Eltern erhoben noch am Krankenbett des Sohnes schwere Vorwürfe. Der Armee warfen sie "grobe Fehler" vor, weil die Demonstranten bis zur Grenze vordringen und einer dann schießen konnte. Sie forderten den Rücktritt der verantwortlichen Kommandeure und fragten: "Sind unsere Soldaten auf dem Schlachtfeld zu hilflosen Marionetten geworden?"

"Zielscheibe für Hamas-Terroristen", ruft die Mutter am Grab

Damit setzten sie den Ton für den nun folgenden Aufruhr in den sozialen Medien. Ein Foto kursierte, auf dem ein junger Mann mit gefesselten Händen zu sehen ist und einem T-Shirt mit dem Aufdruck: "Bindet mich los". Dahinter steckt der Vorwurf, dass sich die Soldaten im Einsatz nur unzureichend zur Wehr setzen könnten und von einer zögerlichen Führung im Angesicht der Gefahren im Stich gelassen würden.

Wer dafür verantwortlich gemacht werden soll, wurde spätestens bei Schmuelis Beerdigung auf einem Tel Aviver Militärfriedhof klar: "Der Staat, die Armee und die Grenzpolizei haben dich zu einer Zielscheibe für Hamas-Terroristen gemacht", rief die Mutter am Grab des Sohnes. Wenig später trat ein bekannter Aktivist aus dem Lager von Ex-Premier Benjamin Netanjahu ans Mikrofon, erklärte dessen Nachfolger zum "Versager" und rief: "Du hast diesen Jungen getötet, Bennett."

Ein Anruf Bennetts bei den Eltern verschlimmerte die Sache nur noch. Er machte sich zum Gespött, weil er dabei die Vornamen des Sohns und des Vaters verwechselte. Am selben Abend rief auch noch Netanjahu bei den Eltern an. Er meldete sich aus dem Urlaubsdomizil im fernen Hawaii. "Bennett hat nicht mal den Namen meines Sohns gewusst", klagte hinterher die Mutter in einem Interview. "Benjamin Netanjahu aber kannte jedes Detail, und er hat am Telefon geweint."

Spätestens damit war der tragische Todesfall in den Niederungen der israelischen Machtpolitik angekommen. Die Eltern machten mit, der Vater forderte Bennett zum Rücktritt auf, die Mutter nannte ihn einen "Verräter" und stellte eine Verbindung zwischen dem Tod ihres Sohnes und der Regierungsbeteiligung der arabischen Raam-Partei her. Bennetts neue Koalition, so erklärte sie, sei ein "Mordanschlag auf Israel".

Ministerpräsident Bennett geht politisch in die Offensive

Bennett selbst ließ wissen, dass trauernde Angehörige alles sagen dürften. Die Armeeführung versuchte Schadensbegrenzung durch die schnelle Vorlage eines Untersuchungsberichts. Fehler bei der Einsatzplanung wurden eingeräumt. Doch den Soldaten seien keinesfalls die Hände gebunden gewesen. Als Beleg wurde angeführt, dass bei der Demonstration am Tag von Schmuelis Tod auch zwei Palästinenser von israelischen Sicherheitskräften erschossen worden seien. Einer davon war ein zwölfjähriger Junge.

Die Eltern des toten Grenzpolizisten wollen sich damit nicht zufriedengeben. Sie verlangen nun eine unabhängige Untersuchungskommission. Ringsherum wird weiter Misstrauen geschürt gegen die Armee und ihre Kommandeure, und die Diskussionen um ein Versagen der neuen Regierung drehen sich aufgeheizt weiter.

Vor den damit verbundenen Gefahren hat Generalstabschef Aviv Kochavi in einem öffentlich gemachten Brief gewarnt: "Eine Gesellschaft, die ihre Soldaten und Offiziere nicht auch dann unterstützt, wenn sie Fehler machen, wird bald keinen mehr finden, um für das Land zu kämpfen." Auch Bennett ist in die Offensive gegangen. Es gebe Leute, die "die Armee als Werkzeug für zynische politische Ziele benutzen wollen", klagte er. "Hört auf damit!" Am Ende hat sich nun auch noch Präsident Isaac Herzog eingeschaltet mit der Mahnung: "Ein solcher Streit gefällt nur unseren Feinden."

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