Israel:Rechtsstaat im Koma

Palestinians light candles on posters depicting Palestinian detainee Mohammed Allan during a protest in support of Allan in the West Bank city of Hebron

Protest für Mohammed Allan: Palästinenser zeigen ihre Unterstützung für den Inhaftierten.

(Foto: REUTERS)

Beim Hungerstreik von Mohammed Allan geht es um mehr als das Schicksal eines palästinensischen Häftlings: Menschenrechtsgruppen und Ärzte werfen Israels Regierung Folter vor, weil sie den Gefangenen zwangsernähren lässt.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Künstlich beatmet wird er seit ein paar Tagen, die Ärzte versorgen ihn per Infusion mit Flüssigkeit, Mineralien und Vitaminen. Um das Leben - und auch um das Sterben - von Mohammed Allan wird derweil ein heftiger Kampf geführt. Dabei geht es längst schon um viel mehr als um das persönliche Schicksal dieses palästinensischen Häftlings, der in einem israelischen Gefängnis vor gut zwei Monaten in den Hungerstreik getreten ist. Es geht um die große Politik, vielleicht sogar um Krieg und Frieden.

Die Debatten drehen sich um ethische und juristische Fragen. Ziemlich viel Ballast also liegt auf dem Fall dieses ausgemergelten, bärtigen Mannes, der im Barzilai-Krankenhaus von Aschkelon alles andere als einsam mit dem Tode ringt.

Mohammed Allan, 31 Jahre alt, ist ein Rechtsanwalt aus einem Dorf bei Nablus im Westjordanland. Als Mitglied des Islamischen Dschihad war er schon mehrmals in israelischer Haft. Zuletzt wurde er im vorigen November inhaftiert - und seitdem sitzt er ohne Anklage und ohne klaren Vorwurf in der Zelle.

Er sitzt ohne Anklage oder klaren Vorwurf in der Zelle - eine gängige Praxis

Administrativhaft nennen das die Israelis: Fast 400 Palästinenser und seit Neuestem auch drei junge Juden sind unter dieser Maßgabe derzeit eingesperrt, im Zweifel kann das Jahre dauern - und dagegen protestiert Mohammed Allan mit seinem Hungerstreik.

Seit dem 18. Juni verweigert er die Nahrungsaufnahme. Er fordert einen Prozess oder die Freilassung. Unterstützt wird er dabei nicht nur von Ramallah bis Gaza im palästinensischen Lager, sondern auch von israelischen Menschenrechtsgruppen, die das noch aus der britischen Mandatszeit stammende Mittel der Administrativhaft als undemokratisch ablehnen.

Israels Regierung sieht darin ein probates Mittel im Kampf gegen den Terrorismus. Durch diesen Hungerstreik aber gerät sie zunehmend in ein Dilemma. Einerseits fürchtet sie sich vor einer Welle der Gewalt, falls der Gefangene Allan sich zu Tode hungern sollte. Der Islamische Dschihad hat bereits mit Anschlägen gedroht, und ohnehin ist die Lage derzeit äußerst volatil. Allein in dieser Woche hat es im besetzten Westjordanland bereits drei Messer-Angriffe auf Sicherheitskräfte gegeben. Geheimdienst und Armee warnen, dass bereits ein Funke einen Flächenbrand auslösen könnte.

Andererseits aber will sich die Regierung nicht erpressen lassen von Gefangenen, die ihr eigenes Leiden als ultimatives Druckmittel einsetzen. "Wenn wir Allan freilassen, wird dies zu einem massenhaften Hungerstreik von Gefangenen führen und den Terroristen eine neue Waffe an die Hand geben", warnte Gilad Erdan, der Minister für Innere Sicherheit.

Als Ausweg hat Israels Parlament am 30. Juli mit knapper Mehrheit ein höchst umstrittenes Gesetz verabschiedet, das die Zwangsernährung von Hungerstreikenden auch gegen deren ausdrücklichen Willen erlaubt. Als Referenz nennen die Befürworter unter anderem die Praktiken im amerikanischen Lager Guantanamo Bay auf Kuba. Doch auch damit wurden die Probleme in Jerusalem nicht unbedingt kleiner.

Das neue Gesetz wird nicht nur von Menschenrechtsgruppen, sondern auch von der israelischen Ärzteschaft heftig attackiert, die sich dabei auf entsprechende Deklarationen des Weltärztebunds gegen die Zwangsernährung von Häftlingen berufen können. Die israelische Standesorganisation hat das Gesetz als "gleichbedeutend mit Folter" verurteilt, und die Ärzte in Aschkelon betonen, dass ihre lebenserhaltenden Maßnahmen bei Mohammed Allan bislang nichts mit einer Zwangsernährung zu tun haben, die zumeist per Magensonde erfolgt.

Der Streit erhitzt die Gemüter auf allen Ebenen, auch auf den Straßen. Vor dem Barzilai-Hospital, in dem Allan im Koma liegt, lieferten sich am Sonntag arabische Demonstranten und jüdische Rechtsradikale eine Schlacht mit Fäusten und Steinen. Inzwischen berät auch der Oberste Gerichtshof über den Fall. Als gesichtswahrende Lösung hat die Jerusalemer Regierung vorgeschlagen, den Hungerstreikenden aus der Administrativhaft zu entlassen, wenn er für vier Jahre in ein ausländisches Exil geht. Sein Anwalt hat das abgelehnt, er fordert die bedingungslose Freilassung. Die Ärzte sagen, wenn Mohammed Allan das Essen weiter verweigert, sei sein baldiger Tod gewiss.

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