Naher Osten:"Israel wird keine Diktatur werden"

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Gegen die Einschränkung des Rechtsstaates findet am Mittwoch in Israel ein "Tag der Störung" statt, hier in Tel Aviv. Demonstrierende werden mit Wasserwerfern zurückgedrängt. (Foto: Oded Balilty/AP)

Die Protestbewegung stemmt sich immer heftiger gegen die Justizreform von Benjamin Netanjahus ultrarechter Regierung. Manche fürchten schon ein bürgerkriegsartiges Zerwürfnis.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Blauer Himmel und 27 Grad sind nicht schlecht für einen 1. März, aber es ist nicht der verfrühte Sommer, der am Mittwoch die Israelis in Massen nach draußen treibt. Die Protestbewegung hat zu einem "Tag der Störung" aufgerufen. Und während die rechts-religiöse Regierung an diesem Tag in der Knesset in Jerusalem unbeirrt ein ganzes Bündel von Gesetzen aus ihrem Giftschrank für den Staatsumbau zur Abstimmung stellt, tritt die Auseinandersetzung darüber draußen im ganzen Land in eine neue, hitzige Phase. Verhaftungen und Raufereien, Tränengas und Wasserwerfer inklusive.

"Israel wird keine Diktatur werden, das haben die Millionen Menschen klargemacht, die in den vergangenen acht Wochen auf die Straße gegangen sind", heißt es in dem Aufruf der Organisatoren des Protests. Nun werde man zur "direkten Aktion" übergehen und "die öffentliche Ordnung stören angesichts einer Regierung, die versucht, die Demokratie zu zerstören". Dies ist als Warnung ernst zu nehmen in einem Land, in dem sogar ein früherer Premierminister und Armeechef, nämlich Ehud Barak, zum zivilen Ungehorsam aufruft und andere schon einen Bürgerkrieg befürchten.

Was "Tag der Störung" konkret bedeutet, lässt sich zum Beispiel in Tel Aviv auf der vielspurigen Kaplan Straße beobachten, die in den vergangenen Wochen zu einer Heimstatt des Protests geworden ist. Ein langer Zug von Demonstranten wälzt sich über den Asphalt, Junge und Alte, viele mit israelischen Fahnen. An den großen Kreuzungen kommt die Menge zum Stehen und bringt für eine Weile den Verkehr zum Stillstand. Ungeduldig werden da vor allem die Taxi- und Lastwagenfahrer, deren wütendes Hupkonzert sich jedoch nur einreiht in den Lärm der mitgeführten Tröten, Trommeln, Pfeifen und der Schlachtrufe nach "Demokratie". Ein paar hundert Meter die Straße hoch wird der Bahnhof blockiert, die Züge halten fortan nicht mehr in Tel Aviv. Und auf dem Ayalon, der nahe gelegenen Stadtautobahn, kommt es zum gewaltsamen Showdown mit der Polizei.

"Das Recht zum Protest ist kein Recht zur Anarchie"

Bilder des Protests und der organisierten Unordnung kommen rasch auch aus dem ganzen Land. Schon um acht Uhr in der Früh starten Eltern und Schulkinder den Reigen der Demonstrationen. Die vielbefahrene Autobahn zwischen Tel Aviv und Jerusalem wird bald darauf von kampferprobten Reservisten der Armee mit Hilfe von Stacheldraht blockiert. Ärzte und Pfleger schließen sich den Protestzügen an, High-Tech-Experten, Professoren und Studenten, Landwirte aus dem Kibbuz rücken mit ihren Traktoren aus. Jerusalem steht dann in der zweiten Tageshälfte im Fokus, mit angekündigten Störaktionen vor der Knesset und später am Abend nahe des Wohnhauses von Premierminister Benjamin Netanjahu.

Manche Gegner der Justizreform verkleiden sich als Figuren aus der Fernsehserie "The Handmaid's Tale", hier an einem Bahnhof in Jerusalem. (Foto: Ohad Zwigenberg/dpa)

Demonstriert wird dabei auch, welche Breite der Protest gewonnen hat in wenigen Wochen und wie gefährlich die deutlich zutage tretende Spaltung des Landes ist. Der von der Regierung inszenierte Angriff auf die Demokratie zeigt schon Folgen für die Wirtschaft und die Währung, der Schekel verliert an Wert. Der Generalstabschef der Armee sorgt sich zudem bereits um die Sicherheit des Landes angesichts der zahlreichen Aufrufe, keinen Reservedienst mehr in der Armee zu leisten.

Die Regierung behält dennoch ihre Linie bei, die Demonstranten pauschal als "Anarchisten" zu verdammen. Auf die Aktionen am "Tag der Störung" reagiert Premier Netanjahu mit der Erklärung: "Das Recht zum Protest ist kein Recht zur Anarchie". Rückendeckung gibt er damit dem rechtsextremen Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, der sich mit markigen Sätzen zu Wort meldet und die Polizei anweist, "null Toleranz gegenüber Anarchisten" zu zeigen und alle Blockaden umgehend aufzulösen.

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Ben-Gvir war schon in den vergangenen Wochen damit aufgefallen, dass er der ihm unterstellten Polizei öffentlich ein zu lasches Vorgehen gegen die Demonstranten vorgeworfen hatte. Zumindest in Tel Aviv kann davon an diesem Tag keine Rede sein, die Auseinandersetzungen werden mit aller Härte geführt, und die Kunde davon dringt bald schon auch hoch nach Jerusalem ins Parlament.

Dort ruft Oppositionsführer Jair Lapid den israelischen Polizeichef auf, die gefährlichen Anordnungen des Ministers Ben-Gvir schlicht zu ignorieren. Anschließend verbreitet seine liberale Zukunftspartei eine Erklärung, dass man an diesem Tag aus der Knesset ausziehen werde, um sich "den Tausenden patriotischen Demonstranten in Tel Aviv anzuschließen, die gegen die Aggressivität der Regierung und die Zerstörung der Demokratie in Israel" protestieren. Die Abgeordneten der Arbeitspartei verkünden das gleiche. Am blauen Himmel über Tel Aviv kreisen da schon seit Stunden die Hubschrauber.

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