Israel:Der Minister droht mit der "eisernen Faust"

Israel: Der Tempelberg, der Juden und Muslimen gleich viel bedeutet, stehe allen offen, twitterte Minister Itamar Ben-Gvir nach seinem Besuch.

Der Tempelberg, der Juden und Muslimen gleich viel bedeutet, stehe allen offen, twitterte Minister Itamar Ben-Gvir nach seinem Besuch.

(Foto: Minhelet Har-Habait/AFP)

Im Streit um den Tempelberg ist schon oft Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern ausgebrochen. Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit, besucht ihn trotzdem - und riskiert bewusst eine erneute Eskalation.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Im Morgengrauen ist er hinaufmarschiert, mit Anzug und Krawatte, mit einem Lächeln im Gesicht und natürlich mit reichlich Polizeischutz. Als Minister für Nationale Sicherheit hat Itamar Ben-Gvir schon wenige Tage nach seiner Amtsübernahme die nationale Sicherheit einem Stresstest unterzogen mit einem Besuch auf dem Jerusalemer Tempelberg, den die Muslimen Haram al-Scharif nennen, das erhabene Heiligtum.

Von Warnungen im eigenen Land und Drohungen von außen, dass dies als derbe Provokation verstanden und zum Auslöser neuer Gewalt, gar eines Krieges werden könnte, hat er sich nicht abhalten lassen. Im Gegenteil.

Der Tempelberg ist der heikelste Ort des Nahostkonfliktes

Kaum war der Besuch beendet, nach exakt 13 Minuten und zunächst ohne Zwischenfälle, schrieb Ben-Gvir auf Twitter: "Der Tempelberg steht allen offen, und wenn die Hamas glaubt, ihre Drohungen könnten mich abschrecken, dann muss sie verstehen, dass sich die Zeiten geändert haben." Den Gegnern hielt er seine "eiserne Faust" entgegen, schließlich gilt es auch hier, den eigenen Ruf zu festigen.

Ben-Gvirs Partei trägt den Namen "Jüdische Stärke", das ist Programm bis hin zum offenen Rassismus gegen Araber. Der Minister selbst hat Verurteilungen wegen Aufhetzung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in seiner Akte.

Besuche auf dem Tempelberg hatte er auch schon zuvor absolviert, doch in seiner Rolle als Minister hat dies nun eine neue Brisanz. Denn seit jeher ist das Plateau über der Jerusalemer Altstadt der heikelste Ort des Nahostkonfliktes. Oft schon hat sich hier Gewalt entzündet, zuletzt im Mai 2021, als heftige Zusammenstöße in den jüngsten Gaza-Krieg mündeten. Im Jahr 2000 hatte ein Besuch des damaligen israelischen Oppositionsführers Ariel Scharon auf dem Tempelberg die Zweite Intifada ausgelöst.

Der US-Botschafter benutzt das Wort "inakzeptabel"

Der Ort ist so blutig, weil er so heilig ist - für Juden und Muslime gleichermaßen. Hier standen in biblischen Zeiten die beiden jüdischen Tempel, von denen nach der Zerstörung allein der westliche Teil der Stützmauer geblieben ist, die sogenannte Klagemauer, an der heute die Juden beten. Auf dem Plateau selbst stehen seit dem 7. Jahrhundert der Felsendom mit seiner goldenen Kuppel und die Al-Aksa-Moschee als drittheiligster Ort des Islam nach Mekka und Medina.

Wegen des heftigen Streitpotenzials ist der Zugang klar geregelt, seitdem die israelischen Truppen im Sechstagekrieg von 1967 den Ostteil Jerusalems erobert und damit den Weg zur Klagemauer und zum Tempelberg eröffnet hatten. Für den Tempelberg wurde damals eine Übereinkunft getroffen, die das Areal unter Aufsicht Jordaniens und der islamischen Waqf-Behörde stellte. Der Regelung zufolge dürfen nur Muslime dort beten. Alle anderen, auch Juden, dürfen die Stätte nur zu bestimmten Zeiten als Besucher betreten.

Im Koalitionsabkommen der neuen Regierung hat sich auch Ben-Gvir verpflichtet, diesen Status quo zu respektieren. Zuvor allerdings hatte er oft genug klargemacht, dass er eine Änderung anstrebt. Lautstark hat er die Regelung als "rassistisch" und diskriminierend gegenüber den Juden verdammt. Noch bei seinem Besuch zum jüdischen Neujahrsfest im Hebst 2021 twitterte er anschließend: "Ich war heute Morgen auf dem Tempelberg, um zu beten und um die Souveränität auszuüben am heiligsten Ort des israelischen Volkes."

Vor diesem Hintergrund sehen die Palästinenser, aber auch viele andere den Besuch Ben-Gvirs nun als gezielte Provokation. Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid warnte vorab, dass dies "Menschenleben kosten" werde. Der amerikanische Botschafter in Israel, Tom Nides, verwies auf den Status quo und verurteilte Aktionen, die diesen gefährdeten, als "inakzeptabel".

Hamas und Islamischer Dschihad sprechen von einer "Kriegserklärung"

Aus der arabischen Welt kam eine Welle des Protests, heftige Kritik übten unter anderem die Regierungen aus Jordanien, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien. Im Außenministerium der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah werte man die Aktion als "Sturm auf die Al-Aksa-Moschee". Die radikalen Palästinensergruppen Hamas und Islamischer Dschihad hatten bereits vorab von einer "Kriegserklärung" gesprochen.

All das schwirrte noch durch die Morgenluft, als Ben-Gvir am Dienstag auf dem Tempelberg war. Am Vorabend hatte er sich noch mit Premierminister Benjamin Netanjahu beraten und anschließend die Chefs des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet und der Polizei getroffen. Niemand habe dabei einen Hinderungsgrund für die Aktion gesehen, hieß es hinterher aus seinem Ministerium.

Der Tag für den Besuch war noch zusätzlich mit Symbolik aufgeladen. Am zehnten Tag des Monats Tevet wird nach jüdischem Kalender jener Ereignisse gedacht, die einst, vor mehr als 2500 Jahren, zur Zerstörung des ersten jüdischen Tempels geführt hatten.

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