Süddeutsche Zeitung

Nahost:Israel erklärt palästinensische NGOs zu Terrorgruppen

Verteidigungsminister Gantz wirft sechs teils prominenten Organisationen vor, im Auftrag der militanten PFLP zu operieren. EU und USA üben heftige Kritik.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Israels Regierung hat sechs palästinensische Nichtregierungsorganisationen zu Terrorgruppen erklärt und damit eine Welle der Kritik ausgelöst. Die NGOs würden als "organisiertes Netzwerk unter der Führung der Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) operieren, heißt es in einer Erklärung des Verteidigungsministeriums. Sie seien entscheidend für die Finanzierung der PFLP und würden größere Geldsummen auch aus europäischen Ländern erhalten. Die Kritik am israelischen Vorgehen kommt von internationalen Menschenrechtsgruppen, aber auch von der US-Regierung und der Europäischen Union.

Die sechs Organisation sind durchweg schon seit Jahrzehnten aktiv und gehören teils zu den prominentesten Gruppierungen der palästinensischen Zivilgesellschaft mit weitreichenden internationalen Verbindungen. Darunter ist die 1979 gegründete Organisation Al-Haq, die Menschenrechtsverletzungen der israelischen Besatzungsmacht anprangert, aber auch immer wieder deutliche Kritik an der von Präsident Mahmud Abbas geführten Palästinensischen Autonomieverwaltung übt.

Addameer bietet Rechtshilfe für palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen. Auf der Liste stehen zudem noch die palästinensische Sektion von Defence for Children International mit Zentrale in Genf, ein Think Tank namens Bisan Center sowie zwei Organisationen, die sich laut ihren Webseiten für die Rechte palästinensischer Frauen und für die Stärkung landwirtschaftlicher Arbeit einsetzen.

Amnesty International spricht von Angriff auf die Menschenrechtsbewegung

Obwohl die Organisationen schon seit Langem im Fokus der israelischen Behörden stehen, kommt der jetzige Schritt überraschend. Verteidigungsminister Benny Gantz wirft ihnen vor, von der "PFLP-Führung kontrolliert zu sein und viele ihrer Mitglieder beschäftigt zu haben". Die PFLP wird von Israel, den USA und der EU als Terrororganisation geführt. Sie ist marxistisch ausgerichtet , verfügt über eine politische Partei und einen militärischen Arm.

In Erklärungen vom Wochenende weisen die betroffenen NGOs die Vorwürfe zurück und kündigen an, ihre Arbeit fortsetzen zu wollen. Mit der Einstufung als Terrororganisation allerdings können die israelischen Behörden ihre Aktivitäten verbieten und ihre Mitarbeiter verhaften. Jeder, der sie unterstützt, muss zudem in Israel mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Verteidigungsminister Gantz rief bereits Regierungen und Organisationen weltweit dazu auf, ihre Zusammenarbeit mit den sechs Organisationen einzustellen.

Allerdings deutet manches darauf hin, dass Israels Vorgehen zum Streitthema mit den westlichen Partnern werden könnte. Ungewöhnlich heftig regierte sogleich die US-Regierung. Ein Sprecher des Außenministeriums kritisierte, dass Washington nicht vorab informiert worden sei und forderte Israel auf, "mehr Informationen" zu den Vorwürfen vorzulegen. "Der Respekt für Menschenrechte, fundamentale Freiheiten und eine starke Zivilgesellschaft" sei für die USA von entscheidender Bedeutung. Ein Sprecher der EU verwies darauf, dass bereits in der Vergangenheit israelische Vorwürfe über den Missbrauch von EU-Geldern durch palästinensische Organisationen "nicht fundiert" gewesen seien.

In einer gemeinsamen Erklärung sprachen Amnesty International und Human Rights Watch von einem "erschreckenden und unrechtmäßigen" Akt. Dies sei ein "Angriff der israelischen Regierung auf die internationale Menschenrechtsbewegung". Die israelische NGO B'Tselem vergleicht das israelische Vorgehen mit dem "Handeln totalitärer Regime".

Streit hat die von Verteidigungsminister Gantz vorgenommene Klassifizierung der palästinensischen NGOs als Terrorgruppen zudem innerhalb der heterogenen israelischen Koalition ausgelöst. Die linke Meretz-Partei äußerte ernste Zweifel an der Stichhaltigkeit der bislang geheim gehaltenen Belege. Eine Abgeordnete der linken Arbeitspartei sprach von einem "unethischen Akt".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5447885
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.