Israel:Die Flammen schlagen hoch in Jerusalem

Israel: Die schlimmsten Straßenschlachten seit Jahren: Ein Palästinenser wirft Steine in der Altstadt von Jerusalem.

Die schlimmsten Straßenschlachten seit Jahren: Ein Palästinenser wirft Steine in der Altstadt von Jerusalem.

(Foto: Emmanuel Dunand/AFP)

Bei Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Polizei werden Hunderte verletzt. Die Gewalt speist sich aus vielen Quellen - und könnte schnell weiter eskalieren.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Ein Wochenende der Gewalt hat Jerusalem erschüttert. Bei Straßenschlachten wurden fast 300 Palästinenser sowie etliche israelische Polizisten verletzt. Die heilige Stadt und das ganze unruhige Land ringsherum sind nun im Alarmzustand. Denn die Unruhe speist sich gleich aus mehreren Quellen, und Möglichkeiten zur weiteren Eskalation werden sich in den nächsten Tagen reichlich bieten.

Spannungen herrschen in Jerusalem schon während des gesamten muslimischen Fastenmonats Ramadan, der in dieser Woche zu Ende geht. Die israelische Polizei hatte sie provoziert mit der zwischenzeitlichen Sperrung des Platzes vor dem Damaskus-Tor im arabischen Ostteil der Stadt. Doch kaum beruhigte sich hier die Lage, hat sich der Konflikt nun am heikelsten und seit jeher am meisten umkämpften Ort der Stadt entzündet: auf dem Tempelberg, den die Muslime Haram al-Scharif nennen, das edle Heiligtum.

Ausgerechnet dort, zwischen Felsendom und Al-Aksa-Moschee, kam es in der Nacht zum Samstag zu den schlimmsten Schlachten, die die Stadt seit Jahren erlebt hat. Zehntausende Menschen hatten sich am letzten Freitag des Ramadan zum Gebet versammelt. Danach explodierte die Gewalt. Erst wurden israelische Sicherheitskräfte mit Steinen und Flaschen beworfen. Als Reaktion darauf stürmten sie das Gelände, setzten Gummigeschosse ein und Tränengas. Auf Videos ist zu sehen, wie Sicherheitskräfte mit schweren Stiefeln über Gebetsteppiche stampfen und wie die Polizei eine Rauchbombe selbst ins Innere der Al-Aksa-Moschee wirft.

Die arabische Bevölkerung befürchtet eine Vertreibung aus Ostjerusalem

Wenn es um Al-Aksa geht, ist schnell die gesamte muslimische Welt in Aufruhr. Scharfe Kritik am Vorgehen der israelischen Sicherheitskräfte kam nicht nur aus Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien, sondern auch von Israels neuen Freunden am Golf, aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und aus Bahrain. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan schwang sich gar dazu auf, Israel als "Terrorstaat" zu verurteilen.

Ein Anlass für die Wut der Palästinenser, die sich am Freitag nach dem Al-Aksa-Gebet entlud, ist ein Konflikt im Ostjerusalemer Stadtteil Scheich Dscharrah. Dort sind mehrere palästinensische Familien akut von der Zwangsräumung ihrer Häuser bedroht, weil die Grundstücke von israelischen Siedlern beansprucht werden. Diese hatten vor den Gerichten erfolgreich damit argumentiert, dass das Land vor dem Unabhängigkeitskrieg von 1948 in jüdischem Besitz war. Danach allerdings hatten die jordanische Regierung und die Vereinten Nationen 1956 dort Häuser für arabische Familien gebaut, die aus Israel vertrieben worden waren.

Die israelische Seite versucht, den Konflikt nun lediglich als einen Streit um Immobilienbesitz darzustellen. Die arabische Bevölkerung aber sieht darin einen weiteren Schritt zur Vertreibung aus Jerusalem. Mit dem Kampf der Bewohner von Scheich Dscharrah haben sich deshalb inzwischen viele solidarisiert - von den israelischen Arabern bis zu den verschiedenen Palästinensergruppen im Westjordanland und im Gazastreifen.

Die Welle der Gewalt belastet auch die Bildung einer Regierung

Für Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas, der im Westjordanland regiert, sind die aufflammenden Konflikte ein willkommenes Ablenkungsmanöver, um der Wut der eigenen Bevölkerung über die Absage der geplanten Wahl zu entkommen. Für seine internen Rivalen von der Hamas, die im Gazastreifen herrschen, sind sie eine Gelegenheit, zugleich Abbas und Israel unter Druck zu setzen. Hamas-Führer Ismail Hanija hat dazu die Palästinenser im Westjordanland zur "Intifada" aufgerufen.

Die Welle der Gewalt könnte überdies die Bemühungen zur Bildung einer neuen israelischen Regierung erschweren. Denn das geplante Bündnis aus rechten, linken und Zentrumsparteien braucht zur Mehrheit im Parlament die Unterstützung arabischer Abgeordneter - und die dürfte inmitten gewalttätiger israelisch-palästinensischer Konflikte schwerer zu bekommen sein. Profiteur im Falle eines Scheiterns der Regierungsbildung wäre der amtierende Premier Benjamin Netanjahu, der dann auf eine neue Chance bei einer weiteren Wahl hoffen könnte.

Aufrufe zur Deeskalation kommen nun aus aller Welt. Auch die neue US-Regierung zeigt sich "extrem besorgt". Doch in den kommenden Tagen könnten die Spannungen sogar noch steigen. Zwar wurde eine für diesen Montag erwartete endgültige Entscheidung des israelischen Obersten Gerichts zur Räumung in Scheich Dscharrah wegen der Unruhen verschoben. Aber von Sonntagabend an wird in Israel der Jerusalem-Tag gefeiert, der an die Eroberung des arabischen Ostteils der Stadt im Krieg von 1967 erinnert. Höhepunkt ist in jedem Jahr ein Flaggenmarsch, bei dem am Montag voraussichtlich Tausende Israelis durch das muslimische Viertel der Altstadt ziehen werden.

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