Nahost-Konflikt:Beim Geld hört die Feindschaft auf

Mahmud Abbas

In Finanznot: Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.

(Foto: ALEX BRANDON/AFP)

Israel wirbt bei den internationalen Geberländern um mehr Hilfe für die Palästinenser. Uneigennützig ist das nicht, dahinter steckt ein neues Konzept der Regierung in Jerusalem.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) von Präsident Mahmud Abbas befindet sich in einer katastrophalen Lage. Zu Hause hat sie das Vertrauen der darbenden Bevölkerung verloren. Draußen in der Welt brechen die Unterstützer weg, und der breite Strom der internationalen Finanzhilfe ist zum Rinnsal geworden. Die Palästinenser sind so gut wie pleite. Doch in all dieser Aussichtslosigkeit bekommen sie plötzlich Unterstützung von unerwarteter Seite - von Israel. Die seit Juni amtierende Regierung in Jerusalem scheint dabei einem neuen Motto zu folgen: Beim Geld hört die Feindschaft auf.

In dieser Woche treffen sich in Oslo die im "Ad Hoc Liaison Committee" (AHLC) zusammengeschlossenen palästinensischen Geberländer. Und Israels Vertreter, der für regionale Kooperation zuständige Minister Issawi Frej von der linken Meretz-Partei, ist mit einer besonderen Mission nach Norwegen gereist: "Unsere Botschaft an die Geberländer ist es, den Palästinensern mehr Hilfe zukommen zu lassen", sagte er in einem Interview mit der Times of Israel. "Die Vernachlässigung in den vergangenen Jahren hat eine finanzielle Krise geschaffen, die nicht nur die Palästinensische Autonomiebehörde bedroht, sondern die gesamte Region."

Israels Regierung reagiert damit auf einen alarmierenden Bericht, den die Weltbank in der vorigen Woche veröffentlichte. Demnach ist die internationale Finanzhilfe für die PA seit 2008 um 85 Prozent gesunken, von damals 1,2 Milliarden auf nur noch 184 Millionen Dollar für 2021. Im Westjordanland drohe in diesem Jahr ein Haushaltsdefizit von 1,36 Milliarden Dollar. Wegen der Geldnot könne die Autonomiebehörde weder den Kampf gegen Corona führen, noch die Gehälter für das Heer der öffentlich Bediensteten bezahlen. Kurzum: Die PA steht vor dem Kollaps.

Auch für Israel ist das ein Schreckensszenario. Denn bei allen Differenzen bleibt Abbas ein Garant dafür, dass die Sicherheitskooperation mit den Palästinensern im Westjordanland funktioniert. Erst in der vorigen Woche hatte sich israelischen Berichten zufolge der neue Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Ronen Bar, heimlich in Ramallah mit dem Palästinenser-Präsidenten getroffen. Denn Abbas zu stärken bedeutet zugleich, die weit radikalere Hamas von der Machtübernahme im gesamten Palästinensergebiet fernzuhalten.

Die Acht-Parteien-Koalition ist in dem Konflikt handlungsunfähig

Israels Forderung an die internationalen Geberländer nach Hilfe für Abbas ist also alle andere als selbstlos. Und sie verweist über den kurzfristigen Effekt hinaus auf ein neues Konzept der Regierung in Jerusalem im Umgang mit den Palästinensern. Das Schlagwort dazu lautet: Der Konflikt wird geschrumpft. Im Kern geht es dabei darum, Eskalationen zu vermeiden, indem die Lebensumstände der unter Besatzung lebenden Palästinenser verbessert werden.

Dieses Konzept ist auch eine Konsequenz daraus, dass die israelische Acht-Parteien-Koalition in Sachen Nahost-Konflikt praktisch handlungsunfähig ist. Eine gemeinsame Linie zwischen den in der Regierung vertretenen linken, rechten sowie der arabischen Raam-Partei ist nicht in Sicht. Der dem rechten Siedler-Lager entstammende Premierminister Naftali Bennett ist ein erklärter Gegner eines Palästinenserstaats, den er konsequent nur "Terror-Staat" nennt. Außenminister Jair Lapid, Verteidigungsminister Benny Gantz sowie die Vertreter von Arbeitspartei, Meretz und Raam gelten dagegen als Befürworter einer Zwei-Staaten-Lösung.

Die sogenannte Konflikt-Schrumpfung erscheint da als kleinster gemeinsamer Nenner - und zugleich als Angebot an Washington, wo seit dem Amtsantritt von Präsident Joe Biden wieder ein Verfechter der Zwei-Staaten-Lösung regiert. Als Bennett im August zum Antrittsbesuch im Weißen Haus erschien, ermahnte ihn Biden nicht zu Friedensgesprächen, sondern lediglich dazu , "das Leben der Palästinenser zu verbessern".

Konkret in Angriff genommen hat das Verteidigungsminister Gantz, der nach einem Besuch bei Abbas ein erstes Bündel an Maßnahmen erließ. Um der PA aus der akuten Finanzklemme zu helfen, gewährte Israel ein Darlehen von umgerechnet rund 140 Millionen Euro. Zudem wurden unter anderem 15 000 neue Arbeitsgenehmigungen für Palästinenser in Israel ausgestellt.

Befürworter dieses Konzepts argumentieren, dass damit die Tür für spätere Friedensverhandlungen offen gehalten wird. Kritiker verweisen auf den weiter vorangetriebenen Siedlungsbau und sehen in den Erleichterungen höchstens Kosmetik für die zementierte Besatzung. Einer Lösung des ewigen Konflikts kommt man so tatsächlich nicht näher. Schließlich geht es im Kern nicht um einen Wirtschaftskonflikt, sondern um einen Streit ums Land, aufgeheizt durch Religion, Ideologien und eine blutige Geschichte.

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