Süddeutsche Zeitung

Nahost-Konflikt:Besatzung oder schon Annexion?

Die UN-Vollversammlung beauftragt den Internationalen Gerichtshof, Israels Politik im Westjordanland zu untersuchen. Premier Netanjahu schimpft über eine "schändliche Resolution", die Palästinenser sprechen von einem "historischen Erfolg".

Von Peter Münch, Tel Aviv

Erst wenige Tage ist Israels Premierminister Benjamin Netanjahu wieder im Amt, da droht ihm schon ein neuer Dauerstreit auf internationaler Ebene. Grund ist eine Resolution der UN-Vollversammlung, in der der Internationale Gerichtshof in Den Haag aufgefordert wird, die israelische Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten zu untersuchen. Netanjahu und mit ihm weite Teile der israelischen Politik reagieren empört. Dies sei ein "schändlicher Schritt", schimpft der Regierungschef. Israel werde sich dadurch in keiner Weise gebunden fühlen.

Die Entscheidung in New York fiel mit 87 Ja-Stimmen. 26 Staaten stimmten dagegen, darunter neben Israel auch die USA und Deutschland, 53 enthielten sich. Das Rechtsgutachten der Haager Richter, die für Konflikte zwischen Staaten zuständig sind und bereits 2004 den Bau des Sperrwalls zum Westjordanland auf besetztem Gebiet für illegal erklärt hatten, wird erst in ein bis zwei Jahren erwartet. Es ist nicht bindend, dürfte aber politischen Druck entfalten. Schon jetzt wird Israel von den Palästinensern sowie von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International eine Politik der "Apartheid" vorgeworfen.

Israel hat im Sechstagekrieg von 1967 unter anderem das Westjordanland und Ostjerusalem erobert. Dort leben inzwischen mehr als 600 000 israelische Siedler. Das 15-köpfige Richtergremium soll nun untersuchen, ob die seit mehr als 55 Jahren andauernde Besatzung noch vorübergehenden Charakter hat oder inzwischen faktisch schon einer Annexion gleichkommt, die nach internationalem Recht illegal ist.

Hohe Summen für den Siedlungsbau

Jenseits aller Aufregung über die UN-Resolution räumt Israels Regierung selbst offen ein, dass sie sich nicht aus dem Westjordanland zurückziehen will, sondern das Gebiet für sich beansprucht. In den Leitlinien der vorige Woche vereidigten Koalition wird das "alleinige und unumstößliche Recht des jüdischen Volks auf alle Teile des Landes Israels" betont. Dazu werden auch "Judäa und Samaria" gezählt, wie das Westjordanland in der Bibel genannt wird.

Die Koalitionsvereinbarungen sehen zudem explizit eine Politik vor, die eine Annexion von Teilen des Westjordanlands ermöglichen soll. Außerdem werden hohe Beträge für Infrastrukturmaßnahmen speziell für den Siedlungsbau vorgesehen. Netanjahu wies das Ergebnis der UN-Abstimmung nun mit dem Satz zurück: "Das jüdische Volk besetzt nicht sein eigenes Land und auch nicht seine ewige Hauptstadt Jerusalem."

Angesichts eines blockierten Friedensprozesses versucht die Palästinensische Autonomiebehörde dagegen seit Jahren schon, den Konflikt mit Israel vor internationale Gremien zu bringen. Die Entscheidung der UN-Vollversammlung wurde nun vom Außenministerium in Ramallah als "historischer Erfolg und diplomatischer Sieg" bewertet. Ein Sprecher von Präsident Mahmud Abbas erklärte, es sei "an der Zeit, dass Israel für seine fortgesetzten Verbrechen gegen unser Volk zur Verantwortung gezogen wird".

Doch selbst in Israels Regierung wird nach der UN-Abstimmung auf einen Erfolg verwiesen. Denn die Zahl von 87 Ja-Stimmen entspricht nicht einmal der Hälfte aller 193 Mitglieder der Vereinten Nationen. Bei einer vorangegangenen Abstimmung zum selben Thema waren noch 98 Ja-Stimmen gezählt worden. Die Meriten dafür beansprucht nun Netanjahu. "Ich habe mit vielen Führern der Welt gesprochen", erklärte er. "Das Ergebnis davon ist, dass sie ihr Abstimmungsverhalten geändert haben."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5725648
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/perr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.