Israel, Palästina und der Islamismus:Warum die Zwei-Staaten-Lösung vor dem Aus steht

Die Muslimbrüder werden im Nahen Osten zum entscheidenden Faktor. Palästinenserpräsident Abbas kann der Hamas nicht mehr viel entgegegensetzen. Paradoxerweise kommt die Haltung der Islamisten der Auffassung der israelischen Rechten sehr entgegen.

Ein Gastbeitrag von Joschka Fischer

Hamas Polizisten feiern Gaza City Gazastreifen Israel

Feiernde Hamas-Polizisten im Gazastreifen Mitte Dezember 2012

(Foto: Reuters)

Als in Gaza erneut die Waffen sprachen, da schien alles wie immer zu sein. Die Welt wurde ein weiteres Mal Zeuge eines gleichermaßen blutigen wie sinnlosen Krieges zwischen Israel und der Hamas, in dem - auch dies wie gehabt - auf beiden Seiten vor allem unschuldige Zivilisten getötet und verwundet wurden. Allerdings trog diesmal der Schein, denn der Nahe Osten hatte sich in den vergangenen zwei Jahren nachdrücklich verändert.

Das politische Epizentrum dieser Krisenregion findet sich nicht mehr im israelisch-palästinensischen Konflikt, sondern hat sich in Richtung Persischer Golf und der Auseinandersetzung um die regionale Vorherrschaft zwischen Iran, Saudi-Arabien, Türkei und neuerdings wieder Ägypten, zwischen Schiiten und Sunniten verschoben. Der alte Nahostkonflikt ist zu einem Nebenschauplatz geworden.

Die wichtigste Auseinandersetzung um diese Vorherrschaft ist gegenwärtig der syrische Bürgerkrieg, in dem alle wichtigen Akteure direkt oder indirekt präsent sind, denn in Syrien wird eine Vorentscheidung um die regionale Hegemonie fallen. Assad und seine alawitisch-schiitische Machtbasis werden Syrien gegenüber der sunnitischen Mehrheit im Land und in der gesamten Region nicht halten können, das ist bereits gewiss. Die nach wie vor offene Frage bleibt, wann dies geschehen wird.

Der Verlust Syriens wird eine schwere Niederlage für Teheran sein, denn damit verliert es nicht nur seinen wichtigsten arabischen Bündnispartner, sondern auch eine Schlüsselstellung für die Hisbollah in Libanon.

Israel wird mit neuem Machtfaktor des sunnitischen Islam konfrontiert

Zugleich wird auch in Syrien eine Form der Muslimbruderschaft die Macht übernehmen, so wie es als das zentrale machtpolitische Ergebnis der "Arabellion" fast überall im Nahen Osten geschah und geschehen wird. Darin besteht die zentrale Veränderung, in diesem Aufstieg des politischen Sunni-Islam zum entscheidenden regionalen Machtfaktor.

Aus israelischer Sicht führt diese Entwicklung zu einem höchst widersprüchlichen Ergebnis: Einerseits nützt die Schwächung Irans den strategischen Interessen Israels, andererseits wird Israel mit diesem neuen Machtfaktor des sunnitischen Islam in seiner gesamten Nachbarschaft konfrontiert werden, was ganz unmittelbar zu einer Stärkung der palästinensischen Hamas führt.

Diese regional revolutionäre Entwicklung in Richtung Muslimbrüder hat die Herrschaft des laizistisch arabischen Nationalismus und der von diesen getragenen Militärdiktaturen abgelöst und damit faktisch den innerpalästinensischen Machtkampf entschieden. Mahmud Abbas und seine Fatah werden der sunnitisch religiösen Hamas nicht mehr viel entgegenzusetzen haben.

Der neue Nahe Osten verheisst nichts Gutes für 2013

Für eine mögliche Zwei-Staaten-Lösung wird diese Entwicklung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Aus bedeuten, da nicht nur die israelische Rechte an einer solchen Lösung nicht interessiert ist, sondern dies auch für die Hamas und die Muslimbrüder gilt.

Joschka Fischer

Amtierte von 1998 bis 2005 als Bundesaußenminister und Vizekanzler: Joschka Fischer (Grüne)

(Foto: dpa)

Die neue Macht der Religiösen im Nahen Osten hat kein Interesse an territorialen Kompromissen oder an einem Ende des Konflikts auf der Grundlage zweier Staaten, denn ein palästinensischer Staat heißt für sie Palästina unter Einschluss ganz Israels. Und das ist keineswegs nur eine taktische Position oder Ausdruck mangelnder Erfahrung mit den machtpolitischen Realitäten, ganz im Gegenteil. Aus einer Territorial- ist eine religiöse Frage geworden, und damit hat sich der Konflikt im Kern verändert.

Diese unversöhnliche Haltung der Hamas ist sehr langfristig angelegt und schließt keineswegs Verhandlungen mit Israel und sogar Friedensverträge aus, solange diese nützen und die eigene Stärke für weitergehende Ziele nicht ausreicht. Allerdings wird es dabei immer nur um kürzere oder längere Waffenstillstände gehen, nicht aber um ein Ende des Konflikts.

Der jüngste Erfolg von Präsident Abbas in der Generalversammlung der UN - Beobachterstatus für den Staat Palästina - wird die Grundtatsachen dieses Trends nicht revidieren. Es war mehr eine alarmierende diplomatische Niederlage für Israel und eine Demonstration seiner wachsenden internationalen Isolation denn eine Rückkehr zur Zwei-Staaten-Lösung.

Paradoxerweise kommt die Haltung der Hamas der Auffassung der israelischen Rechten sehr entgegen. Und weder die kaum noch vorhandene israelische Linke noch die palästinensische Fatah verfügen über die Kraft, die Option zweier Staaten tatsächlich aufrechtzuerhalten. Für Israel bedeutet die Zukunft eines binationalen Staates allerdings ein hohes langfristiges Risiko, es sei denn, es täte sich erneut die in den Achtzigerjahren verlorene jordanische Option auf. Und dies kann durchaus geschehen.

Denn nach dem Fall Assads und dem syrischen Bürgerkrieg könnte sich sehr schnell Jordanien als nächster Krisenherd erweisen und die Debatte über Jordanien als den eigentlichen palästinensischen Staat wiederbeleben. Die israelische Siedlungspolitik bekäme dann ein anderes Fundament und eine andere politische Richtung. Ich glaube zwar nicht, dass dies je eine echte Option werden könnte, wohl aber der letzte Sargnagel für eine Zwei-Staaten-Lösung.

Neben der Zukunft Syriens bestimmen zwei weitere zentrale Fragen die Zukunft dieses neuen Nahen Ostens: Welchen Weg wird Ägypten unter der Herrschaft der Muslimbrüder einschlagen? Und wird es zu einer friedlichen Lösung oder am Ende doch zum Krieg mit Iran kommen? In Ägypten steht die Beantwortung dieser Frage unmittelbar auf der Tagesordnung und hat nach dem kalten Putschversuch von Präsident Mursi bereits wieder die Straße erreicht. Zudem ist Mursis Timing erhellend.

Entscheidung in Iran-Frage steht an

Am Tag nach seinen erfolgreichen Bemühungen um einen Waffenstillstand in Gaza, wofür er im Westen bereits als neuer Stabilitätsgarant gefeiert wurde, kam es zu einem Anschlag auf die ägyptische Demokratie. Man darf gespannt sein, ob sich die Muslimbrüder auch auf der Straße und mittels der neuen Verfassung durchsetzen werden, und ob der Westen der ägyptischen Demokratie zugunsten von "Stabilität" seine Unterstützung entziehen wird? Dies wäre ein verhängnisvoller Fehler.

Und auch die Frage des iranischen Nuklearprogramms wird nach der erneuten Inauguration von Präsident Obama und den Wahlen in Israel im Januar mit Macht zurückkehren und innerhalb weniger Monate eine Entscheidung erzwingen.

Der neue Nahe Osten verheißt also wenig Gutes im kommenden Jahr. Aber auch der neue Nahe Osten teilt mit dem alten eine Eigenschaft: Es ist und bleibt der Nahe Osten, und deshalb wird man auch in Zukunft nicht wissen, was einen hinter der nächsten Ecke erwartet.

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