Lage in Israel:Bis zum Bersten gespannt

Lage in Israel: Seit Wochen protestieren Bürger gegen die Reformpläne - hier wird ein Demonstrant diese Woche in Tel Aviv festgehalten.

Seit Wochen protestieren Bürger gegen die Reformpläne - hier wird ein Demonstrant diese Woche in Tel Aviv festgehalten.

(Foto: Ronen Zvulun/Reuters)

Israels innere Zerrissenheit wegen der geplanten Justizreform von Premier Netanjahu bleibt auch von den feindlichen Nachbarstaaten nicht unbemerkt. Droht eine neue Nahost-Eskalation?

Von Sina-Maria Schweikle

Hunderte Reservisten haben sich der Einberufung entzogen, Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant droht seinen Rücktritt an. Er habe "Schwierigkeiten, als Minister weiterzumachen", wenn die Justizreform in ihrer jetzigen Form durchgesetzt würde, sagte er in einer Erklärung an Premierminister Benjamin Netanjahu. Es sind Entwicklungen, die zeigen, wie tief die israelische Gesellschaft gespalten ist. Wenn Reservisten freiwillige Wehrübungen absagen, stellt das zwar noch keine strafbare Desertion dar, aber die Armee war in Israels Geschichte immer der einende Faktor der bunten Gesellschaft und: ein Garant für äußere Sicherheit. Dass sich ausgerechnet Armeeangehörige nun dem Protest angeschlossen haben, zeigt, wie dramatisch die Lage ist.

Seit Wochen tobt in Israel der Kampf um die Demokratie. Hunderttausende ziehen wöchentlich auf die Straße, um gegen die geplante Justizreform vorzugehen. Nach Plänen der rechts-religiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu soll es dem Parlament künftig möglich sein, mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des höchsten Gerichts aufzuheben. Außerdem sollen Politiker bei der Ernennung von Richtern mehr Einfluss erhalten. Angesichts der extrem aufgeheizten Stimmung warnte vergangene Woche Präsident Isaac Herzog in einer Fernsehansprache an die Nation vor einem "Bruderkrieg" und ruft zur Schlichtung auf.

Die verfeindeten Staaten sehen die Risse in den Kommandostrukturen

Israel ist wie gelähmt durch die innenpolitischen Konflikte. Das nehmen auch die Nachbarn wahr. Dabei sagt der Nahostexperte Daniel Gerlach: "Den arabischen Staaten ist die Justizreform egal." Aber: "Was sie sehen, sind potenzielle Risse in den Kommandostrukturen und dass erstmalig offen über die bedingungslose Loyalität der Streitkräfte diskutiert wird."

Doch auch wenn die innenpolitische Situation im Land angespannt ist, sieht er noch keine Anzeichen für eine Eskalation in der Region. "Hamas und Hisbollah sind beide geschwächt und haben momentan kein Interesse an einem Krieg", sagt Gerlach. Israel habe sich in den vergangenen Jahren zu einer regionalen Supermacht entwickelt. Die Nachbarn wüssten, mit was für einer Regierung sie es zu tun haben. Sie müssten mit harten Gegenschlägen rechnen und damit, dass die Regierung Netanjahus einen solchen Konflikt auch nutzen könnte, um von der innenpolitischen Situation abzulenken. Außerdem habe die Hisbollah in Libanon an Rückhalt verloren - mit einem Angriff würde sie sich selbst also keinen Gefallen tun.

Trotzdem werden die Stimmen gegen Israel, vor allem in seinem Umgang mit den Palästinensern und der Siedlungspolitik, lauter. Erst vor wenigen Tagen hat sich der Generalsekretär der schiitischen und von Iran geförderten Hisbollah, Hassan Nasrallah, mit dem Führer des Palästinensischen Islamischen Dschihad und der Hamas getroffen. Nach israelischen Medienberichten sollen diese Gespräche eine mögliche Zusammenarbeit zum Thema gehabt haben. Viele haben nun Sorge vor einem Ausbruch der Gewalt. Dass es sich dabei um keine unbegründete Sorge handelt, zeigt ein Beispiel der vergangenen Woche. Ein Attentäter war nach Angaben der israelischen Armee mit Hilfe der Hisbollah aus Libanon nach Israel gelangt - er zündete eine Bombe und verletzte damit einen Mann, ehe er von Sicherheitskräften erschossen wurde. Droht bald gar ein neuer Krieg in der Region?

Auch Netanjahus Plan mit Saudi-Arabien wackelt

Doch es sind nicht nur die Probleme mit dem verfeindeten Nachbarland Libanon, die Netanjahu außenpolitisch unter Druck setzen. Als vor wenigen Wochen eine iranisch-saudische Annäherung unter Chinas Vermittlung bekannt wurde, war das ein Schlag gegen das Kernstück von Netanjahus Außenpolitik. Der Ministerpräsident hatte angestrebt, auch Riad in die Abraham-Abkommen einzubinden - die Friedensverträge mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Bahrain, Sudan und Marokko -, um eine Anti-Iran-Koalition zu bilden.

Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid hatte den Regierungschef daraufhin scharf kritisiert und gesagt, die Harmonisierung der Beziehungen zwischen Teheran und Riad stelle ein "vollständiges und gefährliches Versagen der israelischen Außenpolitik" dar und sei ein "Zusammenbruch der regionalen Verteidigungsmauer, die wir gegen Iran aufgebaut haben". So etwas passiere, "wenn man sich den ganzen Tag mit juristischem Wahnsinn beschäftigt, anstatt seine Arbeit zu tun, indem man sich mit Iran auseinandersetzt und die Beziehungen zu den USA stärkt", fügte Lapid hinzu.

Dass sich Saudi-Arabien nun Iran und nicht Israel angenähert hat, erklärt Daniel Gerlach auch mit der neuerlichen Gewalt und der Haltung der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern. Um zu schlichten, haben sich vergangenen Sonntag Vertreter der israelischen und palästinensischen Seite in Ägypten getroffen und sich zu einer Deeskalation verpflichtet. Ziel sei ein "umfassender, gerechter und dauerhafter Frieden", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung.

Die Vereinbarung bedeutet einen Durchbruch - zumindest auf dem Papier. Zwar hat man sich in Scharm el-Scheich fürs Erste geeinigt. Doch die Hamas und andere palästinensische Gruppierungen kritisierten laut israelischen Medienberichten die Palästinensische Autonomiebehörde, die Teile der besetzten Gebiete verwaltet, für ihre Teilnahme an dem Treffen, das unter der Schirmherrschaft der USA stattfand. Für Gerlach ein Indiz, wie verhärtet die Fronten sind. Früher seien Sicherheitsfachleute der Palästinensischen Autonomiebehörde bei den Israelis ein- und ausgegangen. Dass sie das nun auf fremdem Boden und unter Vermittlung der USA machen, verheiße nichts Gutes, so Gerlach. "Solche Verhandlungen wie in Ägypten hat man früher mit der Hamas geführt, aber nicht mit der Autonomiebehörde."

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