Nahostkonflikt:"Tsunami des Terrors"

Nahostkonflikt: Eine Gruppe israelischer Siedler sucht Rache im palästinensischen Huwara - und hinterlässt verkohlte Fassaden.

Eine Gruppe israelischer Siedler sucht Rache im palästinensischen Huwara - und hinterlässt verkohlte Fassaden.

(Foto: Shadi Jarar'ah/Imago)

Morde an jungen Juden, ein rachsüchtiger Mob im Westjordanland - die Geschehnisse in der Kleinstadt Huwara zeigen beispielhaft, wie die Lage zwischen Israelis und Palästinensern Schritt für Schritt außer Kontrolle gerät.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Verkohlte Ruinen sind zu sehen auf den Bildern aus Huwara im Westjordanland, wo die Flammen hochgeschlagen waren in der Nacht. Eine Horde israelischer Siedler war in die Stadt mit 7000 palästinensischen Einwohnern eingefallen, aus Rache für den Mord an zwei jungen Juden, die Stunden zuvor dort bei einem Terrorangriff zu Tode gekommen waren. All das eskalierte, während fast gleichzeitig im jordanischen Akaba israelische und palästinensische Regierungsvertreter ein Zeichen der Annäherung aussenden wollten. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit in Nahost ist gerade groß.

Die Vorgänge von Huwara können als beispielhaft dafür gelten, wie die Lage Schritt für Schritt außer Kontrolle gerät. Am Montag ist bei einem Anschlag im Westjordanland ein Israeli getötet worden. In Nablus waren bei einem massiven israelischen Militäreinsatz in der vorigen Woche elf Palästinenser erschossen und mehr als 100 verletzt worden. Der Mord an den zwei 19 und 21 Jahre alten israelischen Brüdern in Huwara am Sonntag war von den militanten Palästinensergruppen sogleich als Vergeltung dafür gefeiert worden. Der Attentäter hatte das Auto der beiden gerammt und dann aus nächster Nähe auf sie geschossen. Stunden später tauchten die Siedler auf, die zuvor in den sozialen Netzwerken für ihren Rachefeldzug mobilgemacht hatten.

Warum sah die israelische Armee zuerst zu?

Drei Stunden dauerte ihr gewaltsames Wüten in Huwara. Die Bilanz: Rund 30 Häuser und Geschäfte wurden in Brand gesetzt, dazu noch 25 Autos. Mehrere palästinensische Familien mussten von israelischen Soldaten aus brennenden Häusern gerettet werden. Auch andernorts im Westjordanland kam es zu Auseinandersetzungen. Ein 37-jähriger Palästinenser wurde dabei erschossen, von insgesamt bis zu 400 Verletzten spricht das palästinensische Gesundheitsministerium.

Die im Westjordanland stationierten israelischen Sicherheitskräfte müssen sich nun auch in den heimischen Medien die Frage gefallen lassen, warum sie die Krawalle erst nach Stunden unter Kontrolle brachten. Schließlich waren die Aufrufe zum Zug nach Huwara deutlich zu vernehmen gewesen, und die Siedlergewalt hatte ohnehin in den vergangenen Monaten gefährlich zugenommen.

Nun wird befürchtet, dass die Funken aus Huwara die gesamten Palästinensergebiete in Brand setzen könnten. Anonyme israelische Offizielle werden zitiert mit der Warnung vor einer neuen Intifada oder einem "Tsunami des Terrors". Als Reaktion auf die aufgeheizte Lage wurden umgehend drei zusätzliche Bataillone ins Westjordanland verlegt.

Die Brisanz der Vorfälle spiegelt sich auch in den Reaktionen der israelischen Führung. Staatspräsident Isaac Herzog verurteilte die Ausschreitungen der Siedler. "Das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen, zu randalieren und Gewalt gegen Unschuldige zu verüben - das ist nicht unser Weg", erklärte er. Premierminister Benjamin Netanjahu warnte ebenfalls vor Selbstjustiz nach Terrorangriffen, "auch wenn das Blut kocht".

Die Regierung spricht mit zwei Stimmen

Seine rechtsextremen Koalitionspartner zeigen sich da weit weniger sensibel. Zwar rief auch Finanzminister Bezalel Smotrich die Siedler auf, nicht auf eigene Faust Terrorangriffe zu vergelten, weil dies "gefährliche Anarchie schaffen" könnte. Zuvor hatte er jedoch auf Twitter noch einen Beitrag eines Siedlerfunktionärs geteilt, der dazu aufgerufen hatte, Huwara "auszulöschen".

Ins gleiche Horn blies am Montagmorgen der Regierungsabgeordnete Zvika Fogel, der in der Knesset dem Ausschuss für Nationale Sicherheit vorsteht. Er sprach mit Blick auf Huwara von einer nötigen Abschreckung. "Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis", sagte er im Armeeradio. "Wo immer Terroristen morden wollen, möchte ich diesen Ort in Flammen sehen", sagte er und fügte noch ein "metaphorisch" hinzu.

Die Regierung spricht also mit zwei Stimmen - so wie zuvor auch schon rund um das von einigen Hoffnungen begleitete Treffen in Akaba. Dort hatten sich am Sonntag auf Druck der USA sowie flankiert von Jordanien und Ägypten israelische und palästinensische Vertreter auf Maßnahmen verständigt, die zu einer Deeskalation des Konflikts führen sollen.

In der gemeinsamen Schlusserklärung war auch von einem israelischen Siedlungsbaustopp für die nächsten Monate die Rede. Kaum war das veröffentlicht, wurde es allerdings von dem auch für den Siedlungsbau zuständigen Minister Smotrich dementiert mit den Worten: "Ich weiß nicht, was sie in Jordanien gesagt oder nicht gesagt haben. Aber es wird keinen Baustopp geben, nicht einmal für einen Tag."

Die Regierung in Washington hatte das Treffen in Akaba zuvor als positiven Anfang für einen Entspannungsprozess gewürdigt. Wenig später musste ein Sprecher des US-Außenministeriums dann den Terrorangriff in Huwara und die nachfolgende Siedlergewalt verurteilen.

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