Es war die pure Provokation: Ein israelischer Finanzminister, der auf internationaler Bühne in Paris die Existenz von Palästinensern leugnet: "Gibt es eine palästinensische Geschichte oder eine palästinensische Kultur? Es gibt keine. So etwas wie ein palästinensisches Volk gibt es nicht", sagte Bezalel Smotrich kürzlich, Teil der rechts-religiösen Regierung unter Benjamin Netanjahu. Seit Wochen ziehen Hunderttausende Israelis auf die Straßen des Landes, um gegen die von der israelischen Regierung geplante Justizreform zu demonstrieren. Dabei scheint fast unterzugehen, dass die Pläne seines Kabinetts nicht nur eine Gefahr für die Demokratie in Israel sein könnten, sondern auch für Israels innere Sicherheit und die in der Region.
Äußerungen wie die von Smotrich bleiben von den arabischen Nachbarländern nicht unbemerkt. Es dauerte nicht lange, bis der israelische Botschafter in Amman vorgeladen wurde, das jordanische Parlament hat sogar dessen Ausweisung gefordert. Zwar hat sich die Palästinensische Autonomiebehörde mit israelischen Vertretern unlängst in Ägypten auf eine Deeskalation geeinigt. Doch die Hamas und andere palästinensische Gruppierungen kritisierten sie für ihre Teilnahme an dem Treffen. Vielmehr scheinen sich die unterschiedlichen Akteure zu formieren. Vor wenigen Tagen traf sich die schiitische Hisbollah aus Libanon mit Vertretern der palästinensischen Hamas und des palästinensischen Islamischen Dschihad. Alle drei Gruppierungen werden von Teilen des Westens als Terrororganisation angesehen, alle drei waren untereinander lange spinnefeind. Dabei handelt es sich um eine Gefahr, vor der auch Israels gefeuerter Verteidigungsminister Joav Gallant in den vergangenen Tagen gewarnt hat. Die Feinde des Landes könnten sich die Lage Israels zunutze machen, sagte er. Der erbitterte Streit über die Maßnahmen stelle eine "unmittelbare und reale Gefahr für die Sicherheit des Staates" dar.
Israel:Wenn dem Magier die Zauberkraft ausgeht
Premier Benjamin Netanjahu verkündet am Montagabend eine Auszeit bei der umkämpften "Justizreform". Er musste sich entscheiden zwischen weiten Teilen des Landes, die in den Regierungsplänen den Untergang der Demokratie sehen - und seinen rechten und rechtsextremen Regierungspartnern.
Im nördlichen Westjordanland hat sich eine neue Miliz gegründet
Doch nicht nur außerhalb des Landes äußern sich Milizen zur israelischen Politik. Im nördlichen Westjordanland soll sich nach einem Bericht der Jerusalem Pos t sogar eine neue Miliz gebildet haben. Das "Bataillon des Märtyrers Omar Abu Laila" soll nach einem Palästinenser benannt worden sein, der im Jahr 2019 einen Anschlag verübte, bei dem mehrere Menschen getötet wurden. Dabei sind es nicht nur die Probleme mit militanten Gruppen, die Netanjahu und seine Regierung unter Druck setzen. Israel hatte große Anstrengungen unternommen, um das sogenannte Abraham-Abkommen abzuschließen, die Friedensverträge mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Bahrain, Sudan und Marokko, um eine Anti-Iran-Koalition zu bilden.
Israels Haltung gegenüber den Palästinensern belastet die Beziehungen zu Saudi-Arabien
Im Jahr 2020 hatten die VAE das Abkommen mit Israel abgeschlossen. Die Regierung in Abu Dhabi hatte zu Hause und in der Region die Unterzeichnung des Abkommens mit dem Versprechen präsentiert, dass sie nun mehr Einfluss auf die Israelis habe und die palästinensischen Interessen besser schützen könne. Nun aber warnte die Regierung der Emirate, dass Israels provokative Haltung gegenüber den Palästinensern die Beziehungen neuerlich belaste.
Trotz allem sieht Guido Steinberg keine Gefahr für das Abraham-Abkommen: "Zwar werden die VEA den Druck auf Israel bezüglich des Umgangs und ihrer Politik gegenüber der palästinischen Bevölkerung erhöhen, aber ihre wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen überwiegen", sagt der Islamwissenschaftler am Deutschen Institut für internationale Politik und Sicherheit in Berlin in einem Telefonat mit der SZ. Wie wichtig diese wirtschaftlichen Interessen auf beiden Seiten sind, zeigt das erst am vergangenen Sonntag in London unterzeichnete Freihandelsabkommen zwischen den Emiraten und Israel.
Doch auch die Annäherung zwischen den beiden Erzfeinden Saudi-Arabien und Iran zeigt, wie sehr die Verhältnisse in der Region gerade in Bewegung geraten sind. Ministerpräsident Netanjahu hatte angestrebt, auch Riad in die Abraham-Abkommen einzubinden. Als sich vor wenigen Wochen dann aber Saudi-Arabien und Iran unter Vermittlungen Chinas diplomatisch angenähert haben, sahen viele Kritiker darin ein Verfehlen der israelischen Außenpolitik.
Wie aufgeheizt die Stimmung in Israels Bevölkerung ist, zeigen die jüngsten Entwicklungen. Wenige Tage nachdem die Knesset vergangene Woche ein Gesetz aufgehoben hatte, das den Siedlungsbau vorantreiben soll, kam es am Wochenende in der palästinensischen Stadt Huwara bereits zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen zu einer Schießerei.