Israel:Olympiasieger ohne Ring

Artem Dolgopyat feiert bei seiner Rückkehr nach Tel Aviv mit seiner Lebensgefährtin Maria Mascha Sakovichas seinen Sieg im Bodenturnen bei den Olympischen Spielen in Tokio - heiraten dürfen die beiden in Israel aber nicht.

Artem Dolgopyat feiert bei seiner Rückkehr nach Tel Aviv mit seiner Lebensgefährtin Maria Mascha Sakovichas seinen Sieg im Bodenturnen bei den Olympischen Spielen in Tokio - heiraten dürfen die beiden in Israel aber nicht.

(Foto: Ariel Schalit/AP)

Artem Dolgopyat hat dem jüdischen Staat Gold beschert. Heiraten darf er dort aber nicht - seine Mutter ist keine Jüdin. Nun wird der Ruf nach der Zivilehe wieder laut. Die Chancen sind diesmal besser.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Israel feiert einen neuen Helden: Artem Dolgopyat, 24 Jahre alt und Goldmedaillen-Gewinner im Bodenturnen bei den Olympischen Spielen in Tokio. In der gesamten Sportgeschichte des Landes ist dies erst die zweite olympische Goldmedaille überhaupt, und entsprechend groß sind Stolz und Freude. Premierminister Naftali Bennett unterbrach eigens eine Kabinettssitzung, um den Sieger anzurufen, im Hintergrund applaudierte die gesamte Ministerriege. Präsident Isaac Herzog hat ihm am Telefon versichert: "Artem, du hast Geschichte geschrieben", und auch die schöne Schauspielerin Gal Gadot, Israels "Wonder Woman", hat sofort gratuliert.

Doch mitten hinein in die Lobeshymnen hat die Mutter des Goldjungen in einem Radiointerview mit einem einzigen Satz die Stimmung verdorben. Als sie nach möglichen Enkelkindern gefragt wurde, sagte sie: "Der Staat lässt ihn ja nicht heiraten." Damit hat sie dem Land nun eine ziemlich komplizierte Debatte aufgehalst, bei der es um Identität geht, um das Verhältnis von Staat und Religion und um die Frage, warum es in Israel keine Zivilehe gibt.

Israels neuer Lieblingssportler war 2009 im Alter von zwölf Jahren mit seinen Eltern aus der Ukraine eingewandert. In Tel Aviv hat er sich dem Maccabi-Turnclub angeschlossen, und an seinem blau-weißen Patriotismus hat er auch in der Stunde des Tokioter Triumphs keinen Zweifel gelassen: Gefeiert hat er eingehüllt in eine israelische Flagge, und in jedem Interview hat er seinen Stolz darauf bekundet, den jüdischen Staat zu repräsentieren.

Dabei allerdings ist nun das Problem in den Blick geraten, dass er selbst gar nicht als Jude gilt: Gemäß der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, bräuchte er dafür eine jüdische Mutter. Doch jüdisch ist in der Familie Dolgopyat nur der Vater.

So wie dem Turner geht es Zehntausenden

Zigtausende solcher Fälle gibt es in Israel, viele davon betreffen Einwandererfamilien aus der früheren Sowjetunion. Im Alltag mag das keine große Rolle spielen, auch beim Armeedienst gibt es keine Unterschiede. Schwierig allerdings wird es dann beim Heiraten: Denn die Eheschließung ist in Israel ausschließlich eine religiöse Angelegenheit. Zuständig ist damit nicht der Staat, sondern das Oberrabbinat - und vor dem Rabbi darf nur heiraten, wer auch nachweislich jüdisch ist.

Dolgopyat und seiner aus Weißrussland stammenden Verlobten ist dieser Weg zum Eheglück also verschlossen. Sie können nur im Ausland heiraten, so wie dies auch bereits zahlreiche säkulare Israelis tun, die sich nicht den religiösen Autoritäten unterwerfen wollen. Besonders beliebt sind dafür Hochzeitstrips nach Zypern, das nur eine knappe Flugstunde entfernt ist.

Die vor ausländischen Standesämtern geschlossenen Ehen kann man zwar auch in Israel anerkennen lassen. Aber die Forderung nach Einführung einer Zivilehe gibt es vor allem aus dem linken und säkularen Lager schon seit Jahrzehnten. Auf politischer Ebene zu verhindern gewusst haben das bislang immer die religiösen Parteien, die in fast allen Koalitionen als Zünglein an der Waage saßen. Nun aber sind sie nicht mehr in der Regierung vertreten, und die alte Debatte nimmt neue Fahrt auf mit Blick auf das Schicksal Dolgopyats.

"Ich halte es nicht für angemessen, über mein Privatleben vor dem ganzen Land zu sprechen", sagt Olympia-Sieger Artem Dolgopyat. Doch seinetwegen diskutiert Israel wieder über die Zivilehe.

"Ich halte es nicht für angemessen, über mein Privatleben vor dem ganzen Land zu sprechen", sagt Turner Artem Dolgopyat. Doch seinetwegen diskutiert Israel wieder über die Zivilehe.

(Foto: Ariel Schalit/AP)

"Es ist nicht zu tolerieren, dass jemand für uns bei den Olympischen Spielen antritt und eine Goldmedaille gewinnt, aber nicht in Israel heiraten kann", sagte Außenminister Jair Lapid von der liberalen Zukunftspartei. Transportministerin Merav Michaeli von der linken Arbeitspartei pflichtete ihm bei und erklärte: "Es ist an der Zeit, das Monopol auf Hochzeiten zu brechen." Beide Minister haben versprochen, dem Mann mit der Goldmedaille nun auch zum heimischen Hochzeitsglück zu verhelfen.

Dolgopyat selber allerdings scheint sich höchst unwohl zu fühlen im Zentrum dieser ganzen Aufmerksamkeit. Er spricht grundsätzlich lieber über den Sport, und wenn es um Ringe geht, dann über die olympischen. Als sein nächstes Ziel hat er die Spiele in Paris 2024 ausgegeben. "Ich halte es nicht für angemessen, über mein Privatleben vor dem ganzen Land zu sprechen. Das behalte ich lieber in meinem Herzen", sagte er. Doch auch wenn er schweigt, dürfte die Debatte weitergehen.

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