Israel:Neuvermessung Jerusalems

Israel: Leben zwischen Kontrollpunkten: Palästinenser am Übergang Kalandia zwischen Westjordanland und Jerusalem.

Leben zwischen Kontrollpunkten: Palästinenser am Übergang Kalandia zwischen Westjordanland und Jerusalem.

(Foto: Nasser Shiyoukhi/AP)

Mauern, Zäune, Checkpoints: Der Zuschnitt der heiligen Stadt wird immer stärker so verändert, dass die Palästinenser aus ihr weichen müssen.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Jerusalem

Ali Khalil, Bürgersprecher seines Dorfes, zeigt auf den Hügel, der vom palästinensischen al-Walaja aus zu sehen ist. "Das wollen sie uns auch noch nehmen. Dann können wir nicht mehr zu unseren Feldern fahren." Sie, das sind die Israelis, genauer Jerusalems Stadtverwaltung. Vor zwei Wochen bekamen die Bürger des 3500-Einwohner-Ortes einen Brief mit der Mitteilung, der Checkpoint Ein Yael, an dem israelische Soldaten den Zutritt zu Jerusalem kontrollieren, werde verlegt: 2,5 Kilometer weiter auf palästinensisches Gebiet. Dann wären die Felder und die zweitgrößte Wasserquelle der Gegend von Ein Hanya auf Jerusalemer Territorium.

Dort haben sich die Bürger von al-Walaja ein kleines Refugium mit zwei Badebecken und Picknickplätzen geschaffen, die sich auf Terrassen verteilen. Der Checkpoint ist zwar noch nicht verlegt, aber von der Jerusalemer Stadtverwaltung beauftragte arabische Arbeiter sind bereits dabei, Parkplätze und Gehwege anzulegen. Das Areal soll Teil des "Jerusalem Metropolitan Park" werden. Die Häuser von Jerusalem und das Einkaufszentrum Malha sind in Sichtweite.

"Wir brauchen dann einen Ausweis, um zu unserer Quelle zu gelangen."

Wenn der Checkpoint verlegt ist, können Dorfbewohner, die keine Zutrittserlaubnis für Jerusalem besitzen, nicht mehr zu diesem Areal und ihren Feldern gelangen. "Wir brauchen dann einen Ausweis, um zu unserer Quelle zu kommen", sagt Ali Khalil. Dabei untersteht ein Teil der Gemeinde der Verwaltung Jerusalems, der andere Teil gehört zum Bezirk Bethlehem, das vier Kilometer entfernt liegt. Die Enklave Al-Walaja wird immer kleiner und eine acht Meter hohe Mauer und ein Zaun durchziehen sie.

Bürgersprecher Khalil kann die Zahlen herunterrasseln, in welchem Jahr seinem Dorf wie viel Land abgenommen worden ist: 1948 im Arabisch-Israelischen Krieg 70 Prozent, nach dem Sechstagekrieg 1967 noch einmal die Hälfte der verbliebenen Fläche, und in den vergangenen Jahren jene Bereiche, die für die jüdische Siedlung Har Gilo und den Bau von Mauer und Zaun gebraucht wurden. Im Norden des Ortes stoßen die Mauer und der Zaun zusammen und zeigen, wo das Westjordanland endet und Jerusalem beginnt.

In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Häuser zerstört, um Platz zu schaffen für von Israelis errichtete Schutzkonstruktionen, die nach zahlreichen Selbstmordattentaten von 2000 an gebaut wurden. Ein Großteil der Bauten ist ohne Baugenehmigung entstanden. Ein Haus am östlichen Ortsrand, in dem eine Familie ein Jahr lang gewohnt hatte, wurde vergangene Woche niedergerissen. 90 Häuser seien von Zerstörung bedroht, sagt Vizebürgermeister Khader Alarar. Er hofft, dass der Einspruch beim Obersten Gerichtshof etwas bewirkt, am 17. Dezember soll das Urteil fallen. "Aber es wurde noch nie für uns entschieden", sagt Alarar.

Auch auf der anderen Seite Jerusalems werden Häuser zerstört, in Kafr Akeb, einem arabischen Stadtteil mit 60 000 Einwohnern. Sechs Hochhäuser sollen einer Straße weichen, die den Verkehr rund um den Checkpoint Kalandia entlasten soll. Die Häuser wurden illegal errichtet. Denn Baugenehmigungen gibt es in Ost-Jerusalem so gut wie keine, aber bei Konstruktionen am Stadtrand drückte man bisher meist ein Auge zu. Denn auch immer mehr Palästinenser zogen aus dem Zentrum der Stadt dorthin, was durchaus im israelischen Interesse liegt. Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat will in dem Fall hart durchgreifen und das Straßenprojekt durchziehen. Und Bürgersprecher Munir Sgajer droht bereits mit einer "neuen Intifada", sollten die Hochhäuser gesprengt werden.

In anderen Stadtteilen plant man dagegen, neue Bollwerke zu errichten: Der für Jerusalem zuständige Minister Zeev Elkin kündigte an, dass vier arabische Stadtteile durch Zäune und Mauern von der restlichen Stadt abgeschnitten werden sollen. Nach Schätzungen könnte das bis zu 150 000 Palästinenser treffen. Für sie wäre dann nicht mehr die Jerusalemer Stadtverwaltung zuständig, sondern eine neue, eigene Behörde. Eine Auswirkung: Die Menschen in den abgeschnittenen Gebieten könnten dann nicht mehr an Kommunalwahlen in Jerusalem teilnehmen.

Minister Elkin räumte im Interview mit der Jerusalem Post ein, ihm gehe es darum, "die jüdische Mehrheit in Israels Hauptstadt zu erhalten" und "eine demografische Bombe zu entschärfen". Den Plan, für eine jüdische Bevölkerungsmehrheit in der von ihr als Hauptstadt beanspruchten Stadt zu sorgen, verfolgt Israel seit der Eroberung Ostjerusalems 1967.

Bürgermeister und Bürgersprecher von al-Walaja sind überzeugt, Israel sei dabei, Fakten zu schaffen vor den Verhandlungen über einen Friedensplan zwischen Israelis und Palästinensern. Bürgersprecher Khalil sagt: "Wer Mauern, Zäune und Erholungsparks baut, errichtet Hindernisse und macht es schwer, dieses Land wieder Palästinensern zurückzugeben."

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