Süddeutsche Zeitung

Israel:Netanjahu verliert seinen Verteidigungsminister

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Dass Israels Premier einer Waffenruhe mit der Hamas im Gazastreifen zugestimmt hat, kostet ihn wichtige Unterstützung im Kabinett. Es droht sogar ein zweiter Rücktritt.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Benjamin Netanjahu verbrachte den Mittwoch in der Wüste. Dort, am Grab seines Vorgängers David Ben Gurion, erreichte den Premierminister die Nachricht, dass Verteidigungsminister Avigdor Lieberman zurücktreten wird. Lieberman hatte es nicht für nötig befunden, den Regierungschef vor seiner kurzfristig einberufenen Pressekonferenz darüber zu informieren, dass er und seine nationalistische Partei Jisrael Beitenu (Unser Haus Israel) die Koalition verlassen werden.

Der unmittelbare Anlass: die von Netanjahu eigenmächtig durchgesetzte Zustimmung zu einem von der Hamas ausgerufenen Waffenstillstand nach dem heftigen Beschuss mit Raketen und Mörsergranaten aus dem Gazastreifen. Auch die am Freitag erfolgte Lieferung von 15 Millionen US-Dollar Bargeld in den Gazastreifen durch Katar, zu der Netanjahu grünes Licht gegeben hatte, bezeichnete Lieberman als "großen Fehler". Unmittelbar nach Liebermans Ankündigung ereilte Netanjahu die nächste Erklärung eines Ministers: Der für Bildung zuständige Minister Naftali Bennett drohte mit seinem Rücktritt, sollte er nicht Verteidigungsminister werden.

Auf dem Rückweg nach Jerusalem berief Netanjahu die Chefs der noch verbliebenen vier Koalitionspartner zu sich. Nach dem Ausstieg der von Lieberman geführten Partei, die nur einen Ministerposten hatte, hat die Koalition nur noch eine Stimme Mehrheit im Parlament. Scheidet auch die von Bennett geführte Partei HaBajit HaJehudi (Jüdisches Heim) aus, dann steht das Kabinett Netanjahu IV vor dem Aus. Die den Siedlern nahestehende Partei besetzt acht Sitze im Parlament und stellt drei der noch verbliebenen 21 Minister.

Lieberman und Bennett hatten sich ebenso wie Justizministerin Ajelet Shaked und Umweltschutzminister Zeev Elkin in der Sitzung des Sicherheitskabinetts am Dienstag gegen einen Waffenstillstand ausgesprochen. Deshalb gab es keine Abstimmung und nach sieben Stunden nur eine dürre Erklärung, dass - wenn notwendig - das israelische Militär weitere Angriffe durchführen könne. Das geschah dann auch am Mittwoch. Nach palästinensischen Angaben wurde ein Fischer von israelischen Soldaten erschossen. Die Waffenruhe wurde von der im Gazastreifen regierenden Hamas aber vorerst nicht aufgekündigt.

Sowohl der zurückgetretene Lieberman als auch die Opposition fordern Neuwahlen

Der als politischer Hardliner bekannte Lieberman verband seine Rücktrittsankündigung mit heftigen Angriffen auf Netanjahu: Das Nachgeben gegenüber der radikalislamischen Hamas bezeichnete er als "Kapitulation vor dem Terror". Mit einem Waffenstillstand habe man sich nur Zeit gekauft und keine langfristige Lösung für mehr Sicherheit erreicht. Er habe in den vergangenen zweieinhalb Jahren versucht, ein treues Regierungsmitglied zu bleiben und Differenzen intern zu lösen. Nun sei es Zeit für Neuwahlen. Lieberman drängte Netanjahu, spätestens bei der nächsten regulären Kabinettssitzung am Sonntag einen Wahltermin zu nennen. Er positioniert sich damit just an jenem Tag, an dem der von ihm unterstützte Kandidat Mosche Lion Bürgermeister bei der Stichwahl zum Bürgermeister von Jerusalem wurde. Lion hatte knapp gegen den säkularen Kandidaten Ofer Berkowitz gewonnen.

In einem ersten Schritt übernahm Netanjahu das Ressort des Verteidigungsministers, der Regierungschef fungiert zusätzlich zu seinem Amt bereits als Außenminister. Noch am Grab Ben Gurions hatte er die Entscheidung, einen Waffenstillstand einzugehen, verteidigt. "Unsere Gegner haben um eine Waffenruhe gebettelt und sie wissen ganz genau warum", sagte Netanjahu.

Spätestens im November 2019 müssten ohnehin Wahlen stattfinden. Auch Netanjahu käme ein früherer Wahltermin durchaus gelegen. Noch steht die Entscheidung aus, ob er in zwei Korruptionsfällen tatsächlich angeklagt wird. Vergangenen Februar hatte die Polizei nach Abschluss ihrer Ermittlungen eine Anklage empfohlen. In israelischen Medien wurde über Wahlen Ende Februar oder im März spekuliert.

Auch die Opposition forderte Neuwahlen. Laut Umfragen würde Netanjahus Likud-Partei die Wahl gewinnen, Yesh Atid, die liberale Partei, hätte Chancen, zweitstärkste Partei zu werden, während der Arbeitspartei Verluste vorausgesagt werden. Auf Liebermans Rücktritt reagierte auch die Hamas: Sie sah in seinem Rückzug "einen Sieg für Gaza".

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Quelle:
SZ vom 15.11.2018
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