IsraelLand in Aufruhr

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Die Proteste reißen nicht ab: gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und der Polizei bei einer Kundgebung gegen Benjamin Netanjahu am Montag in Jerusalem.
Die Proteste reißen nicht ab: gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und der Polizei bei einer Kundgebung gegen Benjamin Netanjahu am Montag in Jerusalem. (Foto: Ronen Zvulun/REUTERS)

In Israel braut sich eine Staatskrise zusammen, weil Benjamin Netanjahus Regierung die Justiz zum Gegner erklärt hat.

Von Peter Münch, Berlin

Zum Regieren bleibt Benjamin Netanjahu wenig Zeit in diesen Tagen. Denn Israels Premierminister steht nicht mehr nur wegen Korruption in Tel Aviv vor Gericht; zugleich nimmt noch eine andere Affäre unter dem Stichwort „Katargate“ enorm Fahrt auf. Wenn er es zwischendurch trotzdem schafft, einen neuen Chef des Inlandsgeheimdienstes auszuwählen, dann muss er das nur 24 Stunden später wieder zurücknehmen. In Israel herrscht derzeit ziemliches Chaos. Das Land hat an sieben Fronten zu kämpfen, wie Netanjahu gern betont – und bei ihm selbst sind es noch ein paar mehr.

Was sich da gerade zusammenbraut über dem Land, ist ein Krieg mit äußeren Feinden plus einer Staatskrise im Innern, wo die Regierung die Justiz zum Gegner erklärt hat. Mittendrin steht Netanjahu, für den es bei den Kämpfen im Äußeren ebenso wie im Innern vor allem ums eigene politische Überleben geht.

Soll der Chef des Geheimdiensts weg, weil er zu viel ermittelt?

Um diese Gemengelage aufzudröseln, fängt man am besten beim vorläufigen Ende an, bei der bösen Posse um den Chefposten beim Inlandsgeheimdienst Schin Bet. Vor Kurzem hatte Netanjahus Regierung den bisherigen Leiter Ronen Bar gefeuert wegen „Mangels an Vertrauen“. Das Oberste Gericht hat diese Entlassung mit einer einstweiligen Verfügung ausgesetzt. Für den 8. April ist eine Anhörung angesetzt wegen mehrerer Petitionen, in denen Netanjahu bei Bars Entlassung ein Interessenkonflikt vorgeworfen wird. Unter Bars Führung nämlich ermittelt der Schin Bet zusammen mit der Polizei, ob Geld aus Katar an enge Vertraute des Premiers geflossen ist.

Gut möglich also, dass das Gericht am Ende die Entlassung für rechtswidrig erklärt. Dennoch hatten die Richter es Netanjahu erlaubt, schon einmal Auswahlgespräche mit möglichen Nachfolgern zu führen. Der Regierungschef ging jedoch sofort einen Schritt weiter und ernannte völlig überraschend am Montagmorgen den früheren Marinekommandeur Eli Scharvit zum künftigen Geheimdienst-Chef. Er sei der Richtige, um den Schin Bet „so zu führen, dass seine glorreiche Tradition fortgeschrieben wird“, hieß es.

In aller Früh, noch vor den ersten Hahnenschreien, hatte das Büro des Premierministers diese Erklärung herausgegeben, und offenbar war die Eile so groß, dass der Erwählte für den höchst sensiblen Posten nicht einmal mit einer schlichten Google-Suche überprüft worden war. Denn sonst hätte man all das herausgefunden, was dann plötzlich sehr schnell gegen den Kandidaten ins Feld geführt wurde – und zwar von Netanjahus eigenen Verbündeten und Medienberichten zufolge besonders nachdrücklich auch aus der eigenen Familie, also von Ehefrau Sara und Sohn Jair.

Scharvit nämlich hatte an den Protesten gegen die von Netanjahus Regierung initiierte sogenannte Justizreform teilgenommen, mit der die rechte Regierung das Oberste Gericht entmachten und die Gewaltenteilung aushebeln will. Ein Foto zeigt ihn 2023 bei einer der vielen Großdemonstrationen auf der Tel Aviver Kaplan Street, er ist gehüllt in eine israelische Fahne. Schon 2022 hatte er zudem ein Abkommen der Vorgängerregierung zu einer Seegrenze mit Libanon gelobt, in dem Netanjahu damals noch als Oppositionsführer einen Verrat an Israels Interessen sah. Und dann tauchte auch noch ein Artikel auf, in dem Scharvit die Klimapolitik von US-Präsident Donald Trump kritisiert, obwohl der doch in Netanjahus Israel als sakrosankt gilt.

Scharvits Ernennung wurde folglich nach nur 24 Stunden wieder zurückgezogen. Gründe wurden nicht genannt, das Büro Netanjahus teilte am Dienstag lediglich mit, dass der Premier „nach weiterer Überlegung andere Kandidaten prüfen will“. Das übereilte Prozedere riecht nach Panik – und die könnte ausgelöst worden sein durch Vorgänge, die im Laufe des Montags öffentlich bekannt wurden.

Zwei Vertraute des Premiers namens Jonatan Urich und Eli Feldstein wurden an diesem Tag festgenommen unter dem Verdacht, zwei Herren zugleich gedient zu haben: Israel und Katar. Sie sollen aus Doha Geld bekommen haben, um das Image des Emirats in Israel zu verbessern. Zugleich hatte Netanjahu vor dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 dafür gesorgt, dass Millionen Dollar aus Katar an die Hamas in den Gazastreifen fließen konnten.

Der Premier spricht von „politisch motivierter Hexenjagd“

Die Nachricht von der Festnahme seiner beiden Mitarbeiter erreichte Netanjahu in jenem Tel Aviver Gerichtssaal, in dem er sich gerade wegen möglicher Korruption in drei anderen Fällen zu verantworten hat. Seit 2020 schon läuft dieser Prozess, und er wird von Netanjahu und seinen Anwälten nach Kräften verschleppt. Mal geht es um die Gesundheit des Angeklagten, mal um wichtige Staatsgeschäfte, die zur Unterbrechung führen. Nun wurde die Befragung Netanjahus ausgesetzt, weil er eilig nach Jerusalem musste, um dort in seinem Amtssitz den Ermittlern zum „Katargate“ Rede und Antwort zu stehen.

In diesem Fall gilt er nicht oder vielleicht noch nicht als Beschuldigter. Vieles ist im Unklaren, weil offiziell eine Nachrichtensperre über die Ermittlungen verhängt worden ist. Doch brisant ist die Affäre allemal, und Netanjahu ging sogleich nach der Befragung in die Offensive. Nach einer Stunde schon seien den Ermittlern die Fragen ausgegangen, spottete er in einem noch am Abend in den sozialen Netzwerken veröffentlichten Video. Sie hätten keinerlei Beweise vorlegen können. Kurzum, das Ganze sei eine „politisch motivierte Hexenjagd“, und seine beiden Vertrauten würden von der Justiz „als Geiseln gehalten“.

Die Wortwahl ist mindestens unsensibel mit Blick auf jene Geiseln, die am 7. Oktober von der Hamas in den Gazastreifen verschleppt wurden und dort in den Tunneln entsetzliche Qualen leiden. 59 Israelis sind bis heute nicht zurückgekehrt, nur noch 24 von ihnen sollen am Leben sein. Ihre Angehörigen, die sich im sogenannten Familien-Forum zusammengeschlossen haben, erklärten nun, sie seien „wütend und verletzt“ durch diesen Vergleich. Netanjahu, so forderten sie, solle sich endlich darum kümmern, die wirklichen Geiseln aus Gaza freizubekommen.

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SZ PlusKommentar von Kristiana Ludwig

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