Süddeutsche Zeitung

Israel:Wie Netanjahu damit scheiterte, einen Justizminister zu benennen

Handstreichartig wollte der wegen Korruption angeklagte Regierungschef einen Gefolgsmann auf den Posten setzen - und schlug damit hohe Wellen in der israelischen Öffentlichkeit.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Mit dem Justizsystem seines Landes liegt Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu im Clinch, seitdem er in Jerusalem wegen Korruption angeklagt wurde. Breitseiten schießt er regelmäßig gegen Staatsanwälte und Richter, aber nun hat er ganz oben angesetzt: bei der Neubesetzung des Justizministeriums. Doch damit hat er offenkundig überzogen.

Das Drama begann am Dienstag im Kabinett. Handstreichartig hatte Netanjahu dort einen Gefolgsmann zum neuen Justizminister wählen lassen. Ein entschiedener Einspruch von Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit, der das Verfahren als "illegal" bezeichnete, wurde ignoriert. Erst nachdem das eilig angerufene Oberste Gericht ihm in die Parade fuhr, knickte Netanjahu am Mittwoch ein - und übergab das Justizressort schließlich an seinen Rivalen Benny Gantz vom Bündnis Blau-Weiß.

Der Fall führt tief hinein ins Regelwerk der im April 2020 aus dem Likud und Blau-Weiß gebildeten sogenannten Einheitsregierung. Dort hatte sich Blau-Weiß die Zuständigkeit für die Justiz gesichert und den Wählern hoch und heilig versprochen, Netanjahu keine Chance zu geben, sich seiner Anklage zu entziehen. Wegen der besonderen Umstände dieser Regierungsbildung wurden die Koalitionsvereinbarungen sogar in ein Gesetz gegossen. Jeder Verstoß dagegen ist also ein Gesetzesbruch.

Als die Regierung nach nur wenigen Monaten zum Jahresende auseinanderbrach, hatte Gantz zusätzlich zu seinem Verteidigungsministerium interimistisch auch noch das Justizressort von einem abtrünnigen Parteikollegen übernommen. Zum 1. April, kurz nach der Neuwahl des Parlaments, lief diese Interimsregelung aus. Gantz verlangte von Netanjahu eine reguläre Bestallung zumindest bis zur Bildung einer neuen Regierung. Doch nichts passierte. Der Posten blieb frei, so wie mehrere andere Kabinettsposten auch.

Lautes Gezänk im Kabinett

Im Fall des Justizministeriums allerdings zog das Oberste Gericht am vorigen Sonntag die Notbremse. Es gab Netanjahu exakt 48 Stunden Zeit zur Ernennung eines neuen Justizministers. Das war der Startschuss zur kurzzeitigen Staatskrise, die dann am Dienstag unter lautem Gezänk im Kabinett ihren Anfang nahm.

Dort stellte sich Gantz zur Wahl - und wurde von der Likud-Ministermehrheit mit 17 zu 10 Stimmen abgelehnt. Daraufhin nominierte Netanjahus Lager ohne Absprache den Likud-Politiker Ofir Akunis, der mit 17 zu 10 Stimmen zum neuen Justizminister bestellt wurde. Das aber war ein so klarer Verstoß gegen die im Koalitionsgesetz vorgeschriebene Aufteilung der Macht, dass Esther Hayut, die Präsidentin des Obersten Gerichts, noch am selben Abend eingriff. Sie erklärte, Akunis dürfe den Posten nicht antreten, bis das Gericht eine endgültige Entscheidung getroffen habe.

Diese Entscheidung wurde dann hinfällig durch Netanjahus Kehrtwende. Am Mittwochnachmittag wurde Gantz in einer Telefonschalte des Kabinetts zum Justizminister bestimmt - und Netanjahu steht vor einem ziemlichen Scherbenhaufen.

In der israelischen Öffentlichkeit hatte sein Vorgehen hohe Wellen geschlagen. Das Massenblatt Jedioth Achronoth sprach von einem "Angriff auf die Demokratie". Maariv nannte Netanjahu einen "ungezügelten Anarchisten", und Haaretz warnte, dass er "in seinen letzten Tagen als Premierminister entschieden hat, alles zu zerstören, was noch vom Rechtsstaat übrig ist".

Das Vorgehen wirkt wie eine Verzweiflungstat

Tatsächlich wirkt das Vorgehen wie eine Verzweiflungstat von Netanjahu, der seit der Parlamentswahl vom 23. März vergeblich versucht, eine neue Koalition zu bilden. Nächste Woche läuft sein Mandat zur Regierungsbildung aus. Er setzt nun offenbar darauf, dass es auch niemand anderem gelingt, eine Mehrheit zu finden, sodass es zur fünften Wahl in kurzer Folge kommt.

Womöglich aber hat Netanjahu mit seinem misslungenen Coup bei der Besetzung des Justizministeriums nun das Lager seiner Gegner fester zusammengeschweißt. Denn verurteilt wurde sein Vorgehen nicht nur vom liberalen Oppositionsführer Jair Lapid, sondern auch von den beiden rechten Parteiführern Naftali Bennett und Gideon Saar. Wenn sich alle zusammentun, die Netanjahu nun so heftig kritisieren, dürfte das für eine Regierungsmehrheit reichen.

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