Süddeutsche Zeitung

Israel:Netanjahu hinterlässt ein vergiftetes Erbe

Israels Premier hat sein Land ideologisiert und zerrissen. Seine Nachfolger werden es schwer haben.

Kommentar von Stefan Kornelius

Nach zehn langen Jahren an der Macht hat Benjamin Netanjahu sein politisches Kapital aufgezehrt. Wie auch immer der israelische Ministerpräsident das Wahl-Patt dreht und wendet, welchen Trick er auch immer ausprobieren wird, um den letzten Zipfel der Hoffnung zu greifen: Israels Wähler haben die Botschaft ausgesandt, dass sie diesen Regierungschef nicht mehr haben möchten.

Netanjahu wird dies möglicherweise nicht sofort wahrhaben wollen. Der Prozess der Regierungsbildung und vor allem die Korruptionsverfahren werden ihn aber schnell ernüchtern. Selbst für einen Machtmenschen wie Netanjahu gilt: Wenn das Fundament bröckelt, kommt schnell die gesamte Konstruktion ins Rutschen. Netanjahu wird den Verfall seiner Autorität in seiner Partei, dem Likud, kaum aufhalten können.

Die Wahl hat eine innenpolitische und auch eine nicht zu unterschätzende außenpolitische Wirkung. In Israel selbst würde der Wechsel hin zu Oppositionsführer Benny Gantz eine Befreiung von der bleiernen, vergifteten Atmosphäre des Populisten und Demagogen Netanjahu bedeuten. Nicht erst in diesem Wahlkampf, sondern schon seit Jahren polarisiert Netanjahu mit seinem steroidgeschwängerten Weltbild und seiner Ignoranz für Recht und Ausgleich Israels Gesellschaft. Immer mehr entwickelte er sich zu einem autoritären Machthaber, der die demokratische DNA Israels deformierte und den säkularen Staat in einen religiösen Machtapparat verwandelte.

Dass er all dies mit dem Oberthema Sicherheit verbergen und rechtfertigen konnte, zeugt einerseits von der Realität des israelischen Alltags, andererseits von einer gefährlichen Verengung der Außenpolitik, die ihm vor allem der wichtigste Verbündete, die USA, zugestand.

Trump ist für Netanjahu Alter Ego und Fluch zugleich

Es war US-Präsident Barack Obama, der mit seiner Nahostpolitik an Netanjahu scheiterte und gleichzeitig signalisierte, dass die Präsenz Amerikas in der Region allemal überdehnt sei. Und es ist der irrlichternde amtierende Präsident Donald Trump, der für Netanjahu zum Alter Ego und Fluch in einem wurde. Alter Ego, weil Trump wie eine aufgeblähte Kopie des Populisten Netanjahu funktioniert und deswegen die Chemie zwischen den beiden auf Anhieb funktionierte; Fluch, weil Trump selbst Israel gegenüber unberechenbar blieb, was aktuell an seiner Wankelmütigkeit in der Iran-Politik ablesbar ist.

In der Ära Netanjahu hat sich der Nahostkonflikt ausgedehnt von der Kernauseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern hin zu einem regionalen Mehrebenen-Konflikt um Staatszerfall, Terror, Despotie und Vorherrschaft. Israels Rolle ist dabei in den Hintergrund getreten. Das mag Netanjahu geholfen haben, weil er im Schatten der übermächtigen Kriege in Syrien und Jemen etwa eine Siedlungs- und Annexionspolitik betreiben konnte, die das letzte bisschen Balance in Israels Nachbarschaft zerstörte.

Sicherer gemacht hat Israel diese Politik aber nicht, weil sie von der Aggression lebte, nicht vom Ausgleich. Netanjahu hinterlässt also ein vergiftetes Erbe: ein Land, zerrissen und ideologisiert, religiös aufgeladen und orientierungslos; eine Nachbarschaft in Trümmern, auf denen der Stärkste triumphiert. Welche Regierung Israel auch immer bekommt - sie wird einen schweren Weg gehen.

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