Süddeutsche Zeitung

Nahostkonflikt:Israel und Hamas setzen gegenseitige Angriffe fort

Etwa 42 000 Palästinenser in Gaza fliehen in UN-Schulen. Bundestagspräsident Schäuble und Vizekanzler Scholz fordern harte Strafen für antisemitische Hetze bei Kundgebungen in Deutschland.

Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hat sich seit Mitte April zugespitzt. Verfolgen Sie alle Entwicklungen im Newsblog.

Im Nahen Osten gehen die Kämpfe zwischen militanten Palästinensern und dem israelischen Militär mit unverminderter Härte den achten Tag in Folge weiter. Die israelische Luftwaffe flog erneut Angriffe auf den Gazastreifen und die radikalislamische Hamas feuerte weitere Raketen auf israelisches Territorium. Kampfjets hätten "Terrorziele" getroffen, erklärte das israelische Militär in der Nacht zum Montag, nachdem kurz nach Mitternacht Raketen aus dem Gazastreifen auf die israelischen Städte Be'er Scheva und Aschkelon abgefeuert worden seien. Augenzeugen berichteten, dass sich Israels Vergeltungsschlag auf Gaza-Stadt gerichtet habe und Straßen, Häuser sowie Trainingslager und Gebäude der Hamas zerstört habe. Es gab keine unmittelbaren Berichte über Verletzte auf beiden Seiten der Grenze.

International liefen die Bemühungen um ein Ende der Gewalt weiter. Bei einem Treffen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen am Sonntag forderte UN-Generalsekretär António Guterres ein sofortiges Ende der Kämpfe zwischen Israel und radikalislamischen Palästinensern im Gazastreifen. Die UN stehen mit allen Beteiligten in Kontakt mit dem Ziel einer sofortigen Waffenruhe. Die Vereinigten Staaten sagten, sie hätten der israelischen Regierung und den Palästinensern ihre Unterstützung angeboten, "sollten die Parteien einen Waffenstillstand anstreben". "Wir glauben auch, dass Palästinenser und Israelis gleichermaßen ein Leben in Sicherheit und Geborgenheit verdienen", erklärte US-Präsident Joe Biden.

Die heftigsten Kämpfe zwischen Israel und radikalen Palästinensern seit Jahren gingen aus Auseinandersetzungen an der Al-Aksa-Moschee in Ostjerusalem hervor. Verschärft wurden die Spannungen durch Pläne, dort Häuser palästinensischer Familien zu räumen. Das Land wird von jüdischen Siedlern beansprucht.

Am Montag vergangener Woche stellte die Hamas eine Frist für den Abzug israelischer Sicherheitskräfte von der Moschee und begann nach dem Ablauf mit Raketenangriffen. Seither sind nach israelischen Angaben etwa 3150 Raketen und Geschosse aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert worden. Etwa 460 der abgeschossenen Raketen seien noch in dem Küstengebiet selbst niedergegangen. Das Abwehrsystem Iron Dome ("Eisenkuppel) habe eine Abfangquote von etwa 90 Prozent. Zum Vergleich: Während des 51-tägigen Gaza-Krieges im Jahr 2014 wurden insgesamt 4481 Raketen auf Israel abgefeuert. Zur Zahl der Angriffe Israels im Gazastreifen gab es am Morgen keine aktuellen Zahlen. Die israelische Armee hat in den vergangenen Tagen nach eigenen Angaben ihrerseits mehr als 1000 Luft- und Artillerieangriffe ausgeführt.

Etwa 42 000 Palästinenser im Gazastreifen haben wegen der massiven Luftangriffe Israels auf das Küstengebiet ihre Häuser verlassen. Nach UN-Angaben vom Sonntag suchten sie Schutz in 50 Schulen des UN-Palästinenserhilfswerks (UNRWA) im Gazastreifen. Mehr als 2500 Menschen sind nach der Zerstörung ihrer Häuser obdachlos geworden.

Israels Armee betont, man greife in dem Küstenstreifen nur Ziele der dort herrschenden Hamas an. Diese liegen teilweise mitten in Wohngebieten. Nach Angaben der Luftwaffe unternimmt diese alles, um Opfer in der Zivilbevölkerung zu vermeiden.

Schäuble fordert harte Strafen gegen Antisemitismus

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat Entsetzen über antisemitische Vorfälle bei propalästinensischen Demonstrationen am Wochenende in Deutschland geäußert. "Die Bilder sind unerträglich", sagte Schäuble der Bild-Zeitung. Der Konflikt werde nicht in Deutschland gelöst "und wir lassen nicht zu, ihn hier auszutragen - auf Kosten jüdischer Deutscher". Natürlich dürfe man die Politik Israels scharf kritisieren und dagegen laut protestieren - "aber für Antisemitismus, Hass und Gewalt gibt es keine Begründung".

Deshalb brauche es "die ganze rechtsstaatliche Härte gegen Gewalttäter, und es braucht den größtmöglichen Schutz für die jüdischen Gemeinden und Einrichtungen", betonte der Bundestagspräsident. Er mahnte zugleich: "Wer sich in seinem Protest nicht eindeutig davon abgrenzt, wenn das Existenzrecht Israels angegriffen wird, macht sich mitschuldig." Muslimischen Migranten müsse Deutschland klarmachen, sie seien "in ein Land eingewandert, in dem die besondere Verantwortung für Israel Teil unseres Selbstverständnisses ist".

Auch Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hat antisemitische Auswüchse der vergangenen Tage scharf verurteilt. "Mit Blick auf Anschläge gegen jüdische Einrichtungen in Deutschland und antisemitische Parolen bei Demonstrationen" gebe es "kein Pardon", sagte der SPD-Kanzlerkandidat den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Die Täter müssen die volle Härte des Gesetzes spüren."

Zugleich richtete Scholz einen Appell an die Unterstützer der radikalislamischen Hamas. "Der Nahostkonflikt ist vielschichtig - doch für das, was sich in den vergangenen Tagen dort vollzieht, trägt die Hamas die Verantwortung", so der Bundesfinanzminister. "Deshalb sollte die internationale Staatengemeinschaft eindeutig jene aufrufen, die einflussreich sind und an der Seite der Hamas stehen: Beenden Sie den Raketen-Terror! Stoppen Sie die Gewalt!"

Auch der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, fordert "empfindliche und schnelle Folgen" für Personen, die sich antisemitisch betätigen. "Die Staatsanwaltschaft und die Polizei müssen in die Lage versetzt werden, Antisemitismus schnell und besser zu erkennen und zu ahnden", sagte er im Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zudem brauche man einen "europäischen Standard" für die Identifizierung und Bestrafung von Antisemitismus. Polizei und Justiz seien "besser vorbereitet als noch vor einigen Jahren", um mit antisemitischen Straftaten umzugehen. "Das Verbrennen von Staatsflaggen steht unter Strafe. Antisemitische Tatmotive können sich nun ausdrücklich strafverschärfend auswirken." Er sei dabei, eine nationale Strategie für den Kampf gegen Antisemitismus vorzulegen, sagte Klein. Er bereite dazu gerade "eine Anhörung der Zivilgesellschaft" vor. Die Strategie setze auf Repression und Prävention und müsse von der kommenden Bundesregierung umgesetzt werden.

Vereinte Nationen warnen vor "unaufhaltsamen" Folgen

UN-Generalsekretär António Guterres hat angesichts der eskalierenden Gewalt in Nahost vor unkontrollierbaren Folgen für die gesamte Region gewarnt. Der Konflikt habe das "Potenzial, eine unaufhaltsame Sicherheits- und humanitäre Krise auszulösen und den Extremismus nicht nur in den besetzten palästinensischen Gebieten und in Israel, sondern in der gesamten Region weiter zu fördern", sagte er bei einer weiteren Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats in New York.

"Dieser sinnlose Kreislauf aus Blutvergießen, Terror und Zerstörung muss sofort aufhören", sagte Guterres. Er zeigte sich "entsetzt" über die steigende Zahl getöteter palästinensischer Zivilisten durch israelische Luftangriffe in Gaza und "verurteilte" israelische Opfer durch Raketen aus dem Gazastreifen. Guterres erwähnte auch die mögliche Vertreibung einiger palästinensischer Familien aus ihren Häusern in Ostjerusalem. Fortschritt in dem Konflikt führe nur über Verhandlungen mit dem Ziel einer Zweistaatenlösung.

Die amerikanische UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield verlangte ebenfalls ein Ende der Gewalt und betonte, die Vereinigten Staaten "versuchen unermüdlich auf diplomatischem Wege, diesen Konflikt zu beenden". Thomas-Greenfield forderte die Hamas auf, Raketenangriffe auf Israel einzustellen. Alle Konfliktparteien müssten sich in Zurückhaltung üben: "Dies beinhaltet die Vermeidung von Provokationen, gewalttätige Angriffe und Terroranschläge sowie Vertreibungen, einschließlich in Ostjerusalem, das Abreißen von Häusern sowie den Siedlungsbau östlich der Grenzen von 1967."

Israel droht Hamas-Spitze mit Tod

Israels Militär hat der Führungsriege der im Gazastreifen herrschenden Palästinenserorganisation Hamas mit gezielter Tötung gedroht. Armeesprecher Hidai Zilberman sagte dem israelischen Fernsehen am Samstagabend, man werde in der Nacht weiter wichtige Einrichtungen der Hamas und des Islamischen Dschihads überall im Gazastreifen angreifen. Dies gelte auch für die höchste Führungsriege der Hamas.

"Jeder Terrorist in Gaza weiß heute, dass er sich nirgends verstecken kann, nicht über der Erde - und nach dem Angriff auf die Metro (das unterirdische sogenannte Metro-System in Gaza, eine Stadt unter der Stadt; Anm. d. Red.) - auch nicht unter der Erde", sagte Zilberman. "Wir wollen viele Erfolge anhäufen", sagte der Armeesprecher zu den Zielen der Operation. Die Bilanz der Angriffe werde bestimmen, "wie lange danach Ruhe herrscht, ob die Hamas danach fünfmal, 50 Mal oder 500 Mal nachdenkt, bevor sie Raketen in Richtung Jerusalem schießt".

Israels Militäreinsatz wird nach Worten des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu "so lange wie nötig weitergehen". Netanjahu sagte am Samstagabend, man müsse zunächst die Infrastruktur der islamistischen Hamas zerstören. "Uns stehen noch schwere Tage bevor, aber wir werden sie gemeinsam durchstehen und siegen", sagte der 71-Jährige.

In der Vergangenheit hatte Israel immer wieder gezielt militante Palästinenser getötet, darunter auch Führungsmitglieder der Hamas. 2004 etwa den geistlichen Führer und Gründer der Organisation, Scheich Ahmed Jassin, und einen seiner Nachfolger, Abdel Asis Rantisi. Im aktuellen Konflikt sollen es nach israelischen Angaben bereits mindestens zehn ranghohe Kommandeure sein, die getötet wurden.

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