Israel:Explosiver Sauerteig

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Warum Brot in Israel eine Regierungskrise auslösen konnte.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Am Tag nach dem Beben reiben sich viele in Israel verwundert die Augen: Kann ein Streit um ein paar Stückchen Brot tatsächlich eine Regierung zu Fall bringen? Diese Gefahr ist groß, seitdem die rechts-religiöse Abgeordnete Idit Silman eine Kontroverse ums Verbot von "Chametz", also um alle gesäuerten Speisen, zum Anlass genommen hat, sich aus der Regierungskoalition zu verkrümeln. Die Mehrheit im Parlament ist damit für Premierminister Naftali Bennett dahin. Und es zeigt sich, dass in Israels Politik immer höchste Alarmstufe angesagt ist, wenn es zum Konflikt zwischen Staat und Religion kommt.

In diesem Fall geht es um die Einhaltung der strengen Speisevorschriften am jüdischen Pessach-Fest, das am Abend des 15. April beginnt. Gedacht wird des Auszugs aus Ägypten, der nach biblischer Überlieferung so übereilt erfolgte, dass keine Zeit mehr blieb, den Brotteig gehen zu lassen. In Erinnerung daran nehmen religiöse Juden während der Pessach-Woche keinerlei gesäuerte Speisen zu sich - und das gilt vom Brot über Nudeln bis hin zu Bier.

Um alles "koscher für Pessach" zu machen, werden in den Supermärkten die Regale mit solchen Waren sorgfältig verhangen. In privaten Haushalten wird beim religiösen Frühjahrsputz auch noch der letzte Krümel im Kücheneck beseitigt. Schätzungen zufolge halten sich rund 70 Prozent der jüdischen Israelis ans Chametz-Verbot zu Pessach. Der Rest der Bevölkerung aber - die säkularen Juden, die muslimischen oder christlichen israelischen Araber und die Angehörigen anderer Minderheiten - empfinden die strikte Durchsetzung der Speiseregeln an allen öffentlichen Orten als Einschränkung ihrer individuellen Freiheit.

Sogenannte Chametz-Kriege gehören deshalb zum Festtagsritual fast schon wie der Pessach-Putz. In den vergangenen Jahren ging es mal darum, ob muslimische Bäcker ihr Brot überall in der Jerusalemer Altstadt verkaufen dürfen. Mal wurde gestritten, ob nicht-religiöse Soldaten ihre Pitas mit in Kasernen bringen dürfen. Und in diesem Jahr standen die Krankenhäuser im Fokus.

Das Oberste Gericht hatte 2020 geurteilt, dass ein generelles Chametz-Verbot in Hospitälern nicht zulässig sei. In einem Rundschreiben an die Kliniken hatte der aus der linken Meretz-Partei stammende Gesundheitsminister Nitzan Horowitz nun noch einmal eigens daran erinnert - und damit die Koalitionskollegin Silman gegen sich aufgebracht. Selbst im Holocaust, so argumentierte sie, hätten die jüdischen KZ-Insassen an Pessach lieber gehungert als gesäuerte Speisen zu sich zu nehmen. Eine laxe Handhabung der religiösen Regeln würde nun den "jüdischen Charakter" des Staates Israel bedrohen, sprach sie - und lief über zur Opposition.

So könnte die erst vor zehn Monaten gebildete Acht-Parteien-Koalition also zum jüngsten Opfer im Chametz-Krieg werden. Zudem scheint das Fanal der Abgeordneten Silman schon ein paar Schleusen geschlossen zu haben: Das Jerusalemer Hadassah-Hospital will zwar an Pessach auf strenge Taschenkontrollen verzichten. Aber Wachleute sollen die Besucher darauf hinweisen, dass Chametz nicht erwünscht ist.

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