Israel kommt nicht zur Ruhe. Seit 18 Wochen schon lodert der Protest gegen die Politik der rechten Regierung, auch an diesem Wochenende waren wieder Hunderttausende auf den Straßen, um gegen die Pläne zum Umbau der Justiz zu demonstrieren. Zwei Lager prallen weiter unversöhnlich aufeinander. Und an der Seitenlinie steht ein Mann, der gewiss mit Sorge auf das politische Schlachtfeld blickt, doch zugleich nach der eigenen Rolle sucht. Sein Name: Naftali Bennett. Seine Markenzeichen: eine klitzekleine Kippa und ein Lächeln, das an Louis de Funès erinnert, aber auch an den Joker aus den "Batman"-Filmen.
Es ist noch nicht lang her, da war Bennett Premierminister, ein Jahr lang regierte er, von Juni 2021 bis Juni 2022. Danach hat er sich rar gemacht, zur Neuwahl im vorigen November war er nicht angetreten. Doch nun steht er am Rednerpult eines fensterlosen Saals im Jerusalemer King-David-Hotel vor Vertretern der Auslandspresse in Israel - und versichert als Erstes, wie prächtig es ihm gehe. Alles in Ordnung zu Hause also, einen "zweiten Honeymoon" mit Frau und vier Kindern genieße er gerade.
Nichts ist in Ordnung in Israel - und Bennett hat ein paar Lösungsideen
Nichts allerdings ist in Ordnung in seinem Land. Obendrein ist 51 kein Rentenalter für einen solch ambitionierten Mann, selbst wenn ihm sein früherer Erfolg als Start-up-Unternehmer ein arbeitsfreies Leben erlauben würde. Auf die Frage nach einer Rückkehr in die politische Arena gibt Bennett nun eine offizielle Antwort und eine ohne Worte. Die offizielle Version: Er habe sich "noch nicht entschieden". Abgesehen davon transportiert sein Auftritt aber eine deutliche Botschaft: Ich bin noch da - und habe gleich ein paar Lösungsvorschläge für die dringendsten Probleme Israels mitgebracht.
Tatsächlich könnte seine kurze Regierungszeit trotz des frühen Scheiterns im Rückblick fast schon als güldene Epoche erscheinen. Die Politik war auf Kompromisse ausgerichtet in Bennetts Acht-Parteien-Koalition, die aus linken, rechten und erstmals auch einer arabischen Partei gebildet worden war. Die Wirtschaft florierte nach der Corona-Flaute, und sogar an den Fronten war es ruhiger. Als in dieser Woche nach dem Tod eines palästinensischen Häftlings im Hungerstreik wieder der Konflikt an der Gaza-Grenze eskalierte, wurde ein interessanter Vergleich gezogen: 104 Raketen aus Gaza gab es nun an einem einzigen Tag. In der Regierungszeit von Bennett waren es im ganzen Jahr nur 15.
Nun also, wo Benjamin Netanjahu mit seiner rechts-religiösen Koalition regiert, brennt es wieder an allen Ecken - und Israel ist nicht nur von außen bedroht, sondern auch durch den Riss im Innern. Bennett zieht daraus den Schluss, dass das Land nach dieser Polarisierung reif sei für "ein Jahrzehnt von Einheitsregierungen". Praktischerweise hat er auf diesem Feld schon Erfahrung gesammelt mit seiner sehr breiten Koalition, der er damals auch eine griffige Arbeitsformel verpasst hatte: Bei allem Streit sei sich Israels Gesellschaft in 70 Prozent aller Fragen einig - und darauf müsse sich die Regierungsarbeit konzentrieren.
Seine neue Losung: "Ich bin ein radikaler Moderater."
Gewiss nicht in diese 70 Prozent fallen die von der aktuellen Regierung initiierten Gesetze zum Umbau des Justizsystems. Bennett selbst hatte früher vieles davon befürwortet. Doch angesichts der Menschenmassen, die seit mehr als vier Monaten schon zum Protest auf die Straße gehen, hält er es nun für opportun, eine Reform zu fordern, "die moderat sein muss".
Einen Lösungsvorschlag bietet er auch beim zweiten großen Streitthema an, das nun die Proteste anheizt: der Befreiung der Frommen von der Wehrpflicht und deren Absenz auf dem Arbeitsmarkt. Beides hängt zusammen, weil Religionsstudien bislang vor dem Armeedienst schützen, aber zugleich die Aufnahme einer Arbeit verhindern. "Wir müssen die beiden Themen entkoppeln", fordert Bennett. Für eine Dekade noch will er deshalb die ultra-orthodoxen Männer vom Militär befreien in der Hoffnung, dass viele von ihnen dann erst einmal arbeiten gehen, statt in der Jeschiwa zu verharren - und dass dieses Eintauchen in die Gesellschaft dann später auch zur Beteiligung am Armeedienst führt.
Während die anderen streiten, positioniert sich Bennett so als Mann der Mitte und des rationalen Kompromisses. Abschütteln will er dabei offenkundig auch seine eigene politische Vergangenheit als Siedlerführer und Protagonist der religiösen Rechten. Seine neue Selbstdefinition lautet: "Ich bin ein radikaler Moderater". Ob das bei den Wählern genug Zugkraft entwickelt, wird er ausprobieren müssen. Angesichts der Polarisierung, des Streits und der Blockaden im Land dringt er auf Eile: "Wir müssen so schnell wie möglich zu Lösungen kommen, damit wir Israel wieder ins Laufen bringen."