Israel nach der Wahl:Vorhang zu - alle Fragen offen

Die Wahl in Israel hat vor allem einen Sieger: Avigdor Lieberman. Denn der Rechts-Populist wird durch das uneindeutige Abschneiden der zwei großen Parteien zum Königsmacher.

Thorsten Schmitz, Tel Aviv

Kurz vor der Bekanntgabe der ersten Prognosen Dienstagnacht um 22 Uhr öffnete der Himmel über Israel seine Schleusen. Es donnerte, blitzte und stürmte.

Israel nach der Wahl: Der Rechts-Populist Avigdor Lieberman neigt einer Kolaition mit Netanjahus Likud zu.

Der Rechts-Populist Avigdor Lieberman neigt einer Kolaition mit Netanjahus Likud zu.

(Foto: Foto: dpa)

Den Fernsehreportern, die vor den Wohnhäusern und Hotels der Spitzenkandidaten Position bezogen hatten, flogen Äste um die Ohren, und im Großraum Tel Aviv fielen in ganzen Straßenzügen das Licht und das Internet aus. Als das Patt zwischen den beiden größten Parteien Kadima und Likud veröffentlicht wurde, setzte in den Fernsehstudios eine rege Diskussion ein.

Bis in die frühen Morgenstunden, bis zur Bekanntgabe des vorläufigen Endergebnisses, wurden mögliche Koalitionskonstellationen durchgespielt, die jedes Mal daran scheiterten, dass diese Wahl zwei Gewinner produziert hat - oder zwei Verlierer.

Selten sind israelische Journalisten um Worte verlegen, aber am Tag danach herrscht Katerstimmung in den politischen Zirkeln. Die größte Tageszeitung Jediot Achronot konnte sich nicht für einen Titel entscheiden und machte mit dem Satz auf "Ich habe gewonnen!" - und druckte paritätisch zwei gleich große Fotos von Tzipi Livni und Benjamin Netanjahu.

In der bekanntesten politischen Radiosendung von Jaron Dekel brachte es Politikwissenschaftler Ron Schachar von der Universität Tel Aviv auf den Punkt und sagte am Mittwoch: "Wir haben gestern nicht einen, sondern gleich zwei Premierminister gewählt." Israels Wahlsystem sei marode, sagte Schachar. Die Internetleitungen dagegen waren am Mittwochmittag wieder repariert.

Die 18. Wahlen zur Knesset sollten Klarheit verschaffen, doch fürs Erste haben sie nur ein großes Rätselraten ausgelöst. Außenministerin Tzipi Livni hat mit ihrer Kadima 28 Mandate im 120-sitzigen Parlament errungen, Likud-Chef Netanjahu nur eines weniger.

Es dauerte eine Weile, bis die beiden politischen Lager das Kopf-an-Kopf-Ergebnis verdaut hatten. Und dann erklärten beide, sie pochten auf das Amt des Premierministers.

Anstatt schnell eine neue Regierung zu bilden und den unter Korruptionsverdacht stehenden Noch-Premierminister Ehud Olmert abzulösen, steht Israel nun eine quälend lange Zeit mit Koalitionsverhandlungen bevor.

Kommende Woche wird Staatspräsident Schimon Peres nach Gesprächen mit allen zwölf in die Knesset gewählten Fraktionen bestimmen, wer den Auftrag zur Regierungsbildung erhält. Wer dann eine Regierung zusammenschustern darf, hat dafür maximal sechs Wochen Zeit.

Peres, der selbst nach seinem Austritt aus der Arbeitspartei der Kadima angehört, muss nicht die stärkste Fraktion mit der Koalitionsbildung beauftragen, sondern kann auch jene Partei bitten, von der er glaubt, dass sie die besseren Chancen hat, eine stabile Regierung zu bilden. Und das ist, in diesem komplizierten Fall, Netanjahu.

Zehn Jahre hat Netanjahu auf dieses Comeback hingearbeitet. Sein Lächeln wirkte in der Wahlnacht gekünstelt, weil er gerne so haushoch gewonnen hätte, wie es die Umfragen bis kurz vor der Wahl hervorgesagt hatten. Stattdessen hat er nun ein Mandat weniger als Kadima.

Doch die Chance, erneut Regierungschef werden zu können, will er sich nicht nehmen lassen. Und schon gar nicht einer Rotationsregierung zustimmen, in der er zwei Jahre und Livni zwei Jahre regieren würden. Israel hatte zuletzt 1984 eine derartige Konstellation, in der damals Schimon Peres zwei Jahre regierte und anschließend Itzchak Schamir.

So erklärte Netanjahu noch in der Wahlnacht, das israelische Volk habe sich entschieden und einer dem "nationalen Lager" verpflichteten Regierung den Vorzug gegeben. Das Wort "rechts" vermied er wohlweislich, um international nicht anzuecken.

Er schmückte sich auch mit dem Vokabular von US-Präsident Barack Obama (von dem der Likud auch das Design der Internetseite kopiert hat) und sagte: "Das Volk will einen Wechsel."

Kurz darauf erklärte sich Livni zur Siegerin der Wahl vor deutlich ernüchterten Anhängern im Kellersaal des David Intercontinental-Hotels in Tel Aviv. Sie forderte Netanjahu dazu auf, er möge einer Koalition unter ihrer Führung beitreten. Doch Netanjahu wird sich hüten, unter einer Friedenstaube Livni ein Ministeramt auszuüben, und sei es das des Vize-Premiers.

Ohnehin äußert man sich im Likud-Hauptquartier zuversichtlich, dass die Auszählung der verbleibenden 175.000 Stimmen von Soldaten und Diplomaten dem Likud dann doch noch ein oder zwei Mandate und dadurch eine deutlichere Mehrheit bringen könnte. Soldaten in Israel wählen eher Likud und Lieberman als liberal oder links.

Heftig umworben wurde am Mittwoch der frühere Nachtclub-Türsteher Avigdor Lieberman, der Chef der russischen Einwandererpartei "Unser Haus Israel". Wie mächtig der aus Moldawien stammende Rechts-Populist ist, illustrierte eine Karikatur in der Tageszeitung Haaretz.

Auf ihr war ein zur Übergröße aufgeplusterter Lieberman zu sehen, der vor einer Disco steht und damit beschäftigt ist, Partygänger hinein- oder außen vor zu lassen. Unter jenen, die um Einkehr in den Klub bitten, sind Livni und Netanjahu, auf Zwergengröße geschrumpft.

Liebermans Partei, die mit einem anti-arabischen Wahlkampf Stimmen gemacht hat, ist nun die Königsmacherin und kann entsprechend Forderungen stellen. In der Wahlnacht gab Lieberman bereits einen Hinweis darauf, dass er einer Koalition mit Netanjahu zugeneigt sei.

In seinem stark russisch gefärbten Akzent entschuldigte er sich, dass er seine vorbereitete Rede zu Hause vergessen habe, nicht aber, was er sagen wollte: "Livni hat einen guten Wahlkampf geführt und überraschend gewonnen. Aber wir haben den Schlüssel für eine neue Regierung in der Hand. Das Volk will eine Rechtsregierung."

Da sich die Arbeitspartei wegen des schlechtesten Ergebnisses seit Gründung Israels mit ihren 13 Mandaten auf der Oppositionsbank regenerieren und ihr Chef, Verteidigungsminister Ehud Barak, auch kein Regierungsamt mehr möchte, könnte ein Wunsch Liebermans in Erfüllung gehen.

Er möchte gerne das Verteidigungsressort. Sein Konzept deckt sich mit jenem Netanjahus: Die Hamas notfalls mit einem zweiten Krieg im Gaza-Streifen zu stürzen.

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