Israel: Meir Dagan:Widerworte vom Helden der Heimlichkeit

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"Wir können Irans Atomprogramm nicht stoppen": Der frühere Mossad-Chef warnt die israelische Regierung eindringlich vor Militärschlägen gegen Irans Atomanlagen - und düpiert damit Präsident Netanjahu.

Peter Münch, Tel Aviv

Er hat lange seine Pflicht getan, in der gebotenen Stille natürlich. Mehr als acht Jahre stand Meir Dagan an der Spitze des Auslandsgeheimdienstes Mossad, das ist israelischer Rekord - und seine Regierung hat sich stets darauf verlassen, dass er sich auskennt mit der Abwehr von Gefahren. Doch nun, nicht einmal fünf Monate nach seiner Pensionierung, sitzt der alte Held der Heimlichkeit plötzlich auf einem Podium der Tel Aviver Universität und fährt der politischen Führung in die Parade. Frank und frei attestiert er ihr einen Mangel an Visionen und fordert eindringlich eine neue Friedensinitiative mit den Palästinensern.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erwächst in Meir Dagan ein Gegenspieler, dessen Warnungen schwer zu ignorieren sind. (Foto: AP)

Vor allem aber verschärft Dagan seine Warnung vor einem Iran-Abenteuer. Erstens, sagt er, habe Israel ohnehin keine Möglichkeit, das iranische Atomprogramm zu stoppen. Und zweitens würde ein Präventivschlag einen regionalen Krieg auslösen, dessen Folgen untragbar wären.

Das hat gesessen! Die beiden Massenblätter Jedioth Achronoth und Maariv zeigten den kantigen Dagan am Donnerstag großflächig auf den Titelseiten, und der Regierungschef steht wieder einmal da wie der Kaiser ohne Kleider. Schließlich predigt Benjamin Netanjahu bei jeder Gelegenheit, dass mit den Palästinensern derzeit kein Frieden zu machen sei und dass im Kampf gegen die iranischen Bombenbastler alle Optionen auf den Tisch gehören. Ebenso wie sein Verteidigungsminister Ehud Barak gilt er zum Schrecken der westlichen Verbündeten als Verfechter eines Militärschlags, um das Teheraner Regime vom Bau der Atombombe abzuhalten. Doch in Dagan erwächst ihm ein Gegenspieler, dessen Warnungen schwer zu ignorieren sind.

Schließlich dürfte in Sachen Sicherheit und Bedrohung kaum jemand über mehr Expertise verfügen als der frühere Armeegeneral und langjährige Mossad-Chef. Obendrein gilt der 66-Jährige, der wie Netanjahu der Likud-Partei angehört, sonst keinesfalls als Zauderer. In Jahrzehnten des Dienstes fürs Vaterland hat er sich vielmehr den Ruf eines äußerst risikofreudigen Haudegen erworben. Auch die Bombardierung einer syrischen Atomanlage 2007 fällt in seine Amtszeit. Doch gegenüber Iran hat er schon lange einen anderen Kurs gefahren als der Premierminister, und das durchaus erfolgreich.

Dagans Verdienste auf diesem Feld standen jedenfalls im Mittelpunkt aller Huldigungen, als er Anfang Januar in den Ruhestand ging. Einzelheiten wurden branchenüblich nicht erwähnt, doch dank Wikileaks ist bekannt geworden, dass er ein recht ausgefeiltes Sabotage-Programm ins Werk gesetzt hat. Anschläge auf iranische Atomwissenschaftler werden ebenso dazu gezählt wie der Einsatz des Computerwurms Stuxnet. Unter dem Strich soll dies die iranischen Nuklearbombenpläne um Jahre verzögert haben. Zum Abschied sprach Dagan stolz davon, dass frühestens 2015 mit iranischen Atomwaffen zu rechnen sei.

Das war der erste Schlag gegen die vorwärtsdrängende Politik Netanjahus, der anschließend von bloßen "Geheimdiensteinschätzungen" sprach, die eben unterschiedlich ausfallen könnten. Im Mai legte Dagan zum Ärger der Regierung nach und nannte einen möglichen Angriff auf Iran "den dümmsten Einfall", von dem er je gehört habe. Und nun breitete er vor dem Konferenz-Auditorium in Tel Aviv die möglichen Alternativen dazu aus und erklärte, warum ein Militärschlag geradewegs in den Abgrund führen könnte. Angesichts der weit verzweigten und gut versteckten Atomanlagen gilt deren komplette Ausschaltung durch die israelische Luftwaffe ohnehin als unmöglich.

"Wir haben nicht die Fähigkeit, das iranische Nuklearprogramm zu stoppen", bilanziert Dagan. "Im besten Fall können wir es ein wenig verzögern." Er empfiehlt dazu Sanktionen, internationalen Druck und die Unterbindung der Materialzufuhr. Alle Optionen müssten ausgeschöpft werden vor einem Angriff, denn dessen Folgen seien kaum kontrollierbar. "Es ist wichtig zu wissen, dass dieser Krieg nicht nur gegen Iran geführt würde", warnt Dagan. Die libanesische Hisbollah würde Israel attackieren, und auch mit einem Eingreifen Syriens sei zu rechnen. Er verglich die Situation mit dem Jom-Kippur-Krieg von 1973, als Israel, überrascht vom Zeitpunkt und der Wucht der feindlichen Angriffe, am Rande einer Niederlage stand.

Nach dieser Philippika meldete sich aus der Regierung zunächst nur Jossi Peled zu Wort, ein Likud-Minister ohne Geschäftsbereich. Dagan handele unverantwortlich und schade Israel mit seinen Warnungen vor einem möglichen Angriff auf Iran. "Israel muss sagen, dass es alles tun wird, um seine Existenz zu sichern", betonte er. Dagan, den manche nach der gesetzlich vorgeschriebenen Abkühlungspause nun schon auf dem Weg in die aktive Politik sehen, will sich jedoch nicht den Mund verbieten lassen, auch wenn er damit in Konflikt mit der Regierung gerät. Als früherer Amtsträger, sagt er, sei es nun seine Pflicht, nicht mehr still zu sein.

© SZ vom 03.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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