Israel:Maulkorb für die Polizei

Die Knesset beschließt ein umstrittenes Gesetz, das Korruptionsermittlungen erschwert - laut Kritikern soll es Politiker vor Verfolgung schützen. Die laufenden Ermittlungen gegen Ministerpräsident Netanjahu sollen nicht beeinflusst werden.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Die Opposition ließ sich einiges einfallen, um die Abstimmung in der Knesset über das sogenannte Empfehlungsgesetz zu verzögern. 1280 Änderungsanträge und 43 Stunden Dauerdebatte hatte sie durchgesetzt, die Zeit musste gefüllt werden. So wurden Auszüge aus Shakespeares Richard III. zum Besten gegeben, Whatsapp-Nachrichten von Bürgern mit Kritik an dem Gesetz vorgelesen und Bibelzitate singend vorgetragen.

Auch in den Nachtstunden ging es weiter. Wer schlafen wollte, musste dies in einem Hotel in der Nähe des Parlaments tun, um zur Abstimmung rasch herbeieilen zu können: In der Nacht zum Donnerstag wurde schließlich mit 59 zu 52 Stimmen jenes Gesetz beschlossen, das als "Lex Bibi" bekannt geworden und kontrovers diskutiert worden ist.

Nach Massenprotesten der Bevölkerung wurde das Gesetz in einem Punkt geändert: Es darf nicht auf bereits laufende Verfahren angewandt werden. Gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, genannt "Bibi", laufen derzeit in zwei Fällen Ermittlungen wegen Korruption. Sieben Mal hat ihn die Polizei mehrere Stunden befragt. Es geht um den Verdacht der Geschenkannahme und der Beeinflussung. In einem Verfahren ist Netanjahu nur Zeuge, bei dem es um den Verdacht der Korruption in Zusammenhang mit dem Kauf deutscher U-Boote geht.

Vor kurzem wurde bekannt, dass die Polizei auch gegen Innenminister Ayre Deri ermittelt, gegen Sozialminister Haim Katz laufen schon länger Untersuchungen. Der Initiator des Gesetzes, Koalitionskoordinator David Bitan, musste vergangene Woche just wegen Korruptionsermittlungen zurücktreten. Sein Nachfolger David Amsalem, gegen den ebenfalls ermittelt worden ist, hat bereits einen Gesetzesentwurf in der Schublade, der dem jetzigen Premierminister Netanjahu Immunität garantieren soll.

Netanjahu kündigte an, im Falle einer Anklageempfehlung nicht zurückzutreten

Nach dem beschlossenen Gesetz darf die Polizei nicht mehr auf Grundlage ihrer Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Anklagen empfehlen und ihre Einschätzungen veröffentlichen. Nach Ansicht von Kritikern soll der Polizei ein Maulkorb verpasst werden. Es zielt zudem darauf ab, dass Medien keine Informationen der Polizei mehr publizieren dürfen.

Wiederholt war durchgesickert, dass die Polizei Anfang 2018 empfehlen wird, Anklage gegen Netanjahu zu erheben. Er selbst rechnet offenbar auch damit. Bei einer Veranstaltung mit Anhängern seiner Likud-Partei kündigte er an, im Falle einer Anklageempfehlung nicht zurückzutreten. Die Empfehlung der Polizei ist für die Staatsanwaltschaft nicht bindend.

Inzwischen wächst die Kritik in den eigenen Reihen. Vertreter des rechten Lagers hatten erstmals eine Anti-Korruptionskundgebung in Jerusalem organisiert, zu der 800 Menschen kamen. Präsident Reuven Rivlin, kein politischer Freund Netanjahus, bemerkte, dass er die seit Wochen andauernden Demonstrationen gegen Korruption als essenziell für die Demokratie betrachtet. Netanjahu bat am Dienstag elf prominente Rabbis um deren Unterstützung gegen die "Hexenjagd", wie er die Ermittlungen bezeichnet.

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