Israel:Linke im Niedergang

Nach Flügelkämpfen und Querelen in der Führung holt die Arbeitspartei hat bei der Wahl nur 5,8 Prozent - auch, weil manche Israelis inzwischen arabische Parteien als Alternative sehen.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Israel: Auf Wahlplakaten waren sie schon gemeinsam zu sehen: Amir Peretz, der Chef der Arbeitspartei, und Benny Gantz von Blau-Weiß.

Auf Wahlplakaten waren sie schon gemeinsam zu sehen: Amir Peretz, der Chef der Arbeitspartei, und Benny Gantz von Blau-Weiß.

(Foto: Jack Guez/AFP)

Auch wenn eine Woche nach der Parlamentswahl in Israel noch nicht absehbar ist, ob angesichts des politischen Patts eine Regierung gebildet werden kann - eines ist klar: Die Linke hat bei dieser Wahl eine dramatische Niederlage erlitten. Die traditionsreiche Arbeitspartei (Awoda), die zusammen mit ihrer Vorläuferorganisation Mapai die Gründung des Staates Israel vorantrieb und jahrzehntelang die Ministerpräsidenten - unter ihnen David Ben Gurion, Golda Meir, Schimon Peres und Jitzchak Rabin - gestellt hat, ist nur auf 5,8 Prozent und sieben Sitze gekommen. Sie hat im Vergleich zur Wahl im vergangenen September noch einmal einen Verlust von drei Prozentpunkten hinnehmen müssen.

Dabei ist die Awoda diesmal in einem Bündnis mit der linken Meretz-Partei und Gescher, einer liberalen Gruppierung, angetreten. Im vergangenen September waren Awoda und Meretz mit ihren jeweiligen Partnern beim getrennten Antreten noch zusammen auf elf der 120 Sitze in der Knesset gekommen. Für die Awoda waren aber die sechs Sitze das historisch schlechteste Ergebnis und für die Parteiführung unter Amir Peretz das Signal, sich für diese Wahl mit Meretz zusammenzutun, um nicht womöglich aus dem Parlament zu fliegen.

Der anhaltende Niedergang der Linken ist ein Zeichen für den weiteren Rechtsruck in Israel, der seit der Machtübernahme von Benjamin Netanjahu zu beobachten ist. Der Bibi genannte Politiker der rechtsnationalen Likud-Partei regiert seit 2009 mit rechten und religiösen Parteien. "Es ging bei dieser Wahl mehr denn je um die Frage: Bibi? Ja oder nein", erklärt die Politikwissenschaftlerin Gayil Talshir. "Viele linke Wähler haben strategisch gewählt: Um Netanjahu wegzukriegen, haben sie für Benny Gantz und Blau-Weiß gestimmt." Dabei vertrete Blau-Weiß mit gleich drei ehemaligen Generalstabschefs der Armee an der Spitze vor allem im Sicherheitsbereich politische Positionen, die als "soft rechts" zu beschreiben seien. "Für viele Linke stand aber die Abwahl Netanjahus über allem." Talshir, die sich an der Hebrew University in Jerusalem mit vergleichender Politikanalyse und dem Phänomen der neuen Linken beschäftigt, verweist darauf, dass bisherige Wähler der Arbeitspartei zur Vereinigten Liste gewechselt seien. Zwei der 15 Mandate, eine Rekordzahl für die aus vier arabischen Parteien bestehende Liste, seien darauf zurückzuführen. Sie hätten aus Protest die Liste gewählt, die sie als linke Alternative wahrnehmen. Die wenigsten hätten sich wohl mit den Programmen aller vier Parteien auseinandergesetzt, meint Talshir. Denn zu der Vereinigten Liste gehören zwar Parteien wie Chadasch, ein Zusammenschluss von sozialistischen und kommunistischen Gruppierungen, aber auch arabisch-nationalistische Parteien wie Taal und Balad.

Die Politikwissenschaftlerin macht aber auch interne Querelen um die Führung sowie Flügelkämpfe bei Awoda und Meretz für die Abkehr der Wähler verantwortlich. Bei der Awoda habe sich Avi Gabbay, ein an die Spitze gekommener Millionär, nach der ersten Niederlage 2019 zurückgezogen. Die junge Garde, angeführt von Itzik Shmuli und Stav Shaffir, konnte sich gegen den Polit-Haudegen Amir Peretz nicht durchsetzen, der die Partei zum zweiten Mal übernahm. Der Erneuerungsprozess wurde abgesagt. Shaffir verließ im Streit die Awoda, trat dann aber doch nicht mit einer grünen Partei an. Bei Meretz kam es zu einem Machtkampf zwischen Tamar Zandberg und Nitzan Horowitz, den letzterer für sich entschied. Damit war auch die Entscheidung verbunden, dass sich Awoda und Meretz für die dritte Wahl binnen eines Jahres zusammenschließen.

Als Alternative empfinden viele die Vereinigte Liste aus vier arabischen Parteien

Politikwissenschaftlerin Talshir hält das nicht für ein dauerhaftes Bündnis und rechnet damit, dass sich auf längere Sicht Meretz mit der Vereinigten Liste zusammenschließen werde, weil diese inhaltlich viel verbindet. Beide Parteien treten als Einzige klar für die Fortsetzung des Friedensprozesses mit den Palästinensern ein. Ihren einzigen arabischen Abgeordneten Esawi Freige hatte Meretz jedoch auf einen hinteren Listenplatz gereiht, sodass er den Einzug ins Parlament nicht schaffte. Der Umgang mit Freige dürfte Meretz nach Einschätzung von Talshir auch Stimmen gekostet haben, wovon die Vereinigte Liste profitierte. Sie wurde drittstärkste Kraft bei der Wahl.

Vom Verhalten der arabischen Parteien hängt nun entscheidend ab, ob Gantz eine Minderheitsregierung in Israel bilden kann, mit der auch die Arbeitspartei trotz ihres schlechten Abschneidens wieder an die Macht käme. Awoda-Chef Peretz unterstützt das Vorhaben. Gantz hat sich bereits mit Avigdor Lieberman, dessen ultranationalistische Partei Unser Haus Israel braucht er für das Vorhaben, auf Modalitäten verständigt. "Dann hätten linke Wähler ihr wichtigstes Ziel erreicht, Bibi ist weg", meint Talshir.

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