Am Sonntag fuhren zwei israelische Panzer auf das Eingangstor des UN-Stützpunktes in Ramyah zu, die Blauhelmsoldaten konnten sie über ihre Kameras beobachten. Die Panzer durchbrachen das Eingangstor des Stützpunktes und standen dort eine knappe Stunde herum. Die Besatzungen forderten die UN auf, das Licht der Basis zu löschen. Anschließend hätten die Israelis in der Nähe Stellung bezogen, von dort so viel Munition verschossen, dass die Blauhelmsoldaten trotz Atemmasken ins Krankenhaus mussten. So schildert es die Unifil-Friedenstruppe der Vereinten Nationen, die im Süden Libanons stationiert ist, unter anderem entlang der Grenze zu Israel an der sogenannten „blauen Linie“. Die israelische Armee teilte mit, einer ihrer Panzer habe verletzte Soldaten geborgen. Die schweren Fahrzeuge seien beim Rangieren versehentlich „einige Meter“ in Richtung der UN-Kaserne gefahren.
So geht das nun seit Mittwoch. Seitdem beschießt die israelische Armee jeden Tag die Einrichtungen der Unifil oder beschädigt sie, mindestens vier Soldaten sind bisher verletzt worden, 15 mussten kurzfristig medizinisch behandelt werden. Sogar UN-Generalsekretär António Guterres sah sich genötigt zu reagieren. „Angriffe auf Friedenssoldaten verstoßen gegen das Völkerrecht und können ein Kriegsverbrechen darstellen“, sagte er am Sonntagabend in New York. Die UN-Truppen würden ihre Stellungen nicht räumen, wie es Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vom UN-Generalsekretär gefordert hatte. Einen solchen Schritt könnte Guterres, selbst wenn er wollte, gar nicht einleiten. Die UN-Truppen haben ein Mandat des UN-Sicherheitsrates, er müsste den Einsatz beenden.
Für Netanjahu sind die Blauhelmsoldaten „Geiseln der Hisbollah“, da die Terrorgruppe Angriffe auf Israel aus der unmittelbaren Nähe von UN-Einrichtungen heraus starte. Die UN sagen umgekehrt, dass Israel seine Truppen so nah an den Stützpunkten der Blauhelme stationiere, dass sie faktisch zu „einer einzigen Position“ geworden seien, dies stelle eine ernsthafte Bedrohung für die Friedenstruppe dar. Die UN-Soldaten in Libanon vermuten, dass die Israelis sich vor allem an der Überwachungsfunktion der Unifil störten, die Angriffe sowohl Israels als auch der Hisbollah protokolliert. Wie auch schon beim Einmarsch nach Libanon 2006 nimmt Israel derzeit Kameras und Aussichtstürme der Blauhelme ins Visier. Netanjahu wies am Montag Vorwürfe zurück, Soldaten seines Landes hätten Unifil-Soldaten absichtlich angegriffen.
Deren Beschuss wurde weltweit kritisiert. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin forderte von Israel, die Sicherheit der UN-Truppen zu gewährleisten, die USA kündigten aber gleichzeitig die Lieferung weiterer Waffensysteme an Israel an. Andere Länder wie Spanien, Irland und Portugal fordern einen Waffenboykott gegen Israel. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez geht sogar noch weiter und ruft die EU-Staaten dazu auf, das Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Israel auszusetzen. In einer am Rande eines EU-Außenministertreffens in Luxemburg veröffentlichten Erklärung ist davon keine Rede. Allerdings werden die Angriffe der israelischen Streitkräfte als ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht verurteilt. Sie seien völlig inakzeptabel und müssten eingestellt werden. Die Bundesregierung fordert ebenfalls Aufklärung zu den Angriffen auf UN-Einrichtungen. „Alle Konfliktparteien, auch die israelische Armee, sind verpflichtet, ihre Kampfhandlungen ausschließlich gegen militärische Ziele der anderen Konfliktpartei zu richten“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin.
Israels Luftabwehr kann Hisbollah-Angriff nicht verhindern
Die Hisbollah in Südlibanon griff in den vergangenen Tagen wiederholt mit Raketen und Drohnen Ziele in Israel an. Auf dem Militärstützpunkt Binjamina wurden nach Angaben der Armee am Sonntag vier Soldaten getötet und sieben weitere schwer verletzt. Die Propaganda-Abteilung der Hisbollah und ihre Anhänger behaupteten in den sozialen Medien noch am Sonntagabend, bei dem Angriff Generalstabschef Herzi Halewi getötet zu haben. Was sich allerdings schnell als falsch herausstellte. Der Angriff sei „klein im Vergleich zu dem, was den Feind erwartet, wenn er sich zur Fortsetzung der Angriffe auf unser stolzes Volk entschließt“, drohte die Hisbollah.
Bei dem Angriff setzte die Hisbollah nach eigenen Angaben zum ersten Mal Drohnen ein, die in der Lage sind, „das israelische Luftabwehrradar zu umgehen“. Tatsächlich wurde die Luftabwehr des Landes offenbar von dem Angriff überrascht. Jedenfalls ist bisher unklar, warum die Drohne nicht abgefangen werden konnte. Nach Agenturangaben wurde kein Luftalarm ausgelöst. Seit Kriegsbeginn wurden nach Angaben des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien 67 israelische Zivilisten und Soldaten bei Hisbollah-Angriffen getötet.
Die diplomatischen Bemühungen, einen Waffenstillstand für Libanon oder auch Gaza zu erreichen sind angesichts der Lage zum Erliegen gekommen. Im Gazastreifen hat die israelische Armee einen neuen Angriff auf den Norden der Enklave gestartet, alle dort verbliebenen etwa 400 000 Menschen wurden zur Flucht nach Süden aufgefordert. Am Montag kamen nach palästinensischen Angaben 22 Menschen bei einem Angriff auf eine als Flüchtlingslager genutzte Schule ums Leben, darunter 15 Kinder. Die israelische Armee kündigte eine Untersuchung an. Am Tag zuvor sollen bei einer Drohnenattacke fünf spielende Kinder getötet worden sein.