In den Bergen sieht man die Flammen der brennenden Häuser und Fahrzeuge, die von israelischen Bombern getroffen wurden. Die Krankenhäuser sind überlastet, angesichts der Toten und Verletzten, die sie versorgen mussten. Wer ein Auto hat, macht sich auf den Weg vom Süden des Landes in die Hauptstadt Beirut, viele Kilometer lang stauen sich die Flüchtlinge. Während sich die Welt noch fragt, ob nun der ganz große Krieg kommt im Nahen Osten, haben viele Libanesen diese Frage schon für sich beantwortet. Der Montag war der tödlichste Tag seit dem Ende des Libanon-Krieges im Jahr 1990 – 558 Menschen wurden durch israelische Bomben und Raketen getroffen, mehr als 1800 verletzt, so teilte es der libanesische Gesundheitsminister Firass Abiad am Dienstag mit, an dem die Angriffe weitergingen. „Die überwiegende Mehrheit waren unbewaffnete Menschen in ihren Häusern.“
Schon vergangene Woche starben knapp 40 Menschen in Libanon bei einer Attacke mit explodierenden Pagern, mehrere Tausend wurden schwer verletzt. Hunderte Hisbollah-Mitglieder haben durch die mit Sprengstoff versehenen Pager Augen verloren, Hände und Genitalien. Das Gesundheitssystem des Landes ist überlastet, am Flughafen Beirut wurden sehr viele Flüge gestrichen, die geschäftsführend amtierende Regierung wirft Israel einen „Vernichtungskrieg“ vor. „Die israelische Aggression, die sich brutal gegen unser Volk, unsere Häuser, unsere Dörfer und unsere Städte richtet, ist nicht nur ein Angriff auf die Geografie, sondern auch auf die Würde, die Rechte und die Zukunft unserer Generationen“, sagte der Parlamentsabgeordnete Charbel Massaad, ein maronitischer Christ.
Die Hisbollah bombardiert seit fast einem Jahr den israelischen Norden
Die schiitische Hisbollah wird oft als „Staat im Staat“ beschrieben, obgleich sie wohl nur von einer Minderheit der Libanesen unterstützt wird. Sie betreibt in Libanon Krankenhäuser, Schulen und stellt Parlamentsabgeordnete, vor allem aber begann sie nach dem 7. Oktober mit den Bombardements des israelischen Nordens, etwa 60 000 Menschen mussten dort ihre Heimat verlassen.
Ihre Rückkehr zu ermöglichen, beschreibt die israelische Armee als eines der Hauptziele der Offensive, die vor einer knappen Woche begann. Mit den gesteuerten Explosionen der Pager in den Händen der Hisbollah-Mitglieder, zu denen sich Israel nicht bekennt, der gezielten Tötung ihrer Führungsmitglieder und dem Bombardement vor allem im Süden Libanons.
Dort kündigte die israelische Armee für Dienstagabend neue Angriffe an. „Wir dürfen der Hisbollah keine Pause gönnen. Wir werden die Offensiv-Operationen heute beschleunigen und alle Formationen verdichten. Die Situation erfordert weiterhin ein energisches Vorgehen in allen Bereichen“, sagte Stabschef Herzi Halevi. Die Hisbollah will auf die Angriffe mit dem Beschuss eines Flughafens in Israel und einer Sprengstofffabrik reagiert haben.
Die USA mahnen zur Zurückhaltung
Frankreich forderte ein Ende aller Kämpfe und berief eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates ein, auch die USA mahnten zur Zurückhaltung. „Wir glauben nicht, dass es im Interesse Israels ist, dass die Situation eskaliert, dass es zwischen Israel und Libanon zu einem totalen Krieg kommt“, sagte John Kirby, der Sprecher des Weißen Hauses für nationale Sicherheit. UN-Generalsekretär António Guterres mahnte, Libanon dürfe nicht „zu einem zweiten Gaza“ werden. Solche Aufrufe hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in der Vergangenheit regelmäßig ignoriert, am Montag sprach er von „komplizierten Tagen“, die bevorstehen würden.
Seine Armee kann auf der einen Seite auf in jüngerer Zeit fast beispiellose Erfolge verweisen: In nur einer Woche hat Israel Tausende Kämpfer verletzt, die Führung der Radwan-Elitetruppe der Hisbollah getötet, Hunderte Infrastruktureinrichtungen zerstört und die Hisbollah wie nie zuvor gedemütigt. Dass die von den USA und Europa als Terrorgruppe eingestufte Organisation sich aber Israel beugt und alle Kämpfe wie gefordert einstellt, gilt als unwahrscheinlich.
Der große Gegenschlag mit dem angeblich 150 000 Raketen starken Arsenal der Terrormiliz blieb aber ebenfalls aus. Die Hisbollah hat sich zwar zum Ziel gesetzt, Israel zu vernichten, das Regime in Iran, das die Gruppe mit aufgebaut und finanziert hat, sieht in ihr jedoch vor allem ein Bollwerk für das eigene Überleben, den Schutz vor einem direkten israelischen Angriff. Der iranische Präsident Massud Peseschkian äußerte sich am Dienstag eher defensiv: „Es besteht die Gefahr, dass sich das Feuer der aktuellen Ereignisse auf die gesamte Region ausweitet. Wir dürfen nicht zulassen, dass Libanon durch die Hand Israels zu einem weiteren Gaza wird.“ Peseschkian gehört nicht zu den Hardlinern der Revolutionären Garden, die den Terror der Hisbollah steuern. Aber auch dort, so vermuten Beobachter, wird die derzeitige Situation nicht nur als Niederlage eingeschätzt, da Israel in vielen Teilen der Welt als Aggressor gelte, als militärischer Sieger, aber zunehmend als moralischer Verlierer.