Süddeutsche Zeitung

Nahost:Zwei Feinde hoffen auf doppelten Profit

Das als "historisch" gefeierte Grenzabkommen zwischen Israel und Libanon soll beiden Seiten Gaseinnahmen und mehr Sicherheit bringen. Warum die Freude in der Knesset dennoch getrübt ist.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Nun überschlagen sich alle mit Lobpreisungen und Gratulationen. Von höchster Warte in Washington aus hat US-Präsident Joe Biden die Einigung über ein Abkommen zur Seegrenze zwischen Israel und Libanon als "historischen Durchbruch im Nahen Osten" gefeiert. Sogar im fernen Berlin wird ein "historischer Erfolg" beschworen. In den beteiligten Ländern selbst ist Freude und Erleichterung zu spüren, von einer "historischen Errungenschaft" spricht auch Israels Premierminister Jair Lapid. Doch dass die Geschichte immer zwei Seiten hat, zeigt die Reaktion des Oppositionsführers Benjamin Netanjahu: Er schimpft über eine "historische Kapitulation" - und will vor Unterzeichnung des Abkommens noch ein paar Hürden aufbauen.

Zur Einordnung jenseits der großen Worte: Die Vereinbarung zwischen Israel und Libanon ist weit entfernt von einem Friedensabkommen zwischen diesen beiden Staaten, die offiziell seit 1948 im Kriegszustand leben. Einig geworden ist man sich - in indirekten Verhandlungen unter US-Vermittlung - in einer wirtschaftlichen Frage, die zugleich sicherheitspolitische Erträge bringen soll: Nach langjährigem Streit über ein insgesamt 860 Quadratkilometer großes Gebiet im Mittelmeer wurde nun festgelegt, in welchem Winkel die Grenze von der Küste abgeht.

Bedeutsam ist das vor allem deshalb, weil das lange Zeit umstrittene Gebiet zwei Gasfelder streift: eines namens Karisch auf der israelischen Seite; ein zweites namens Kana, das nun von den Libanesen ausgebeutet werden kann. Das israelische Gas kann jetzt sehr schnell gefördert werden und dem Land Spielraum geben für Exporte nach Europa. Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs dürfte dies einer der Gründe sein, warum die USA großen Druck entfaltet haben, das Abkommen zu schließen.

Die Größe des Feldes ist noch unklar

Auf libanesischer Seite wird es gewiss noch einige Jahre dauern, bis die französische Firma Total als Lizenznehmer das Kana-Feld erkundet und erschlossen hat. Es ist nicht einmal klar, ob wirklich große Gasmengen zu erwarten sind. Doch inmitten der verheerenden libanesischen Wirtschafts- und Energiekrise ist die Einigung eine hoffnungsvolle Botschaft für die Bürger. Dass Libanon nicht weiter Richtung Chaos driftet, ist auch für die Nachbarn von Bedeutung, weshalb Verteidigungsminister Benny Gantz nun eigens betonte: "Israel hat ein Interesse an einem stabilen und florierenden Libanon."

Israels Hoffnungen richten sich gleich auf zwei Effekte: Zum einen soll Libanon von iranischen Energielieferungen unabhängig und somit der iranische Einfluss zurückgedrängt werden. Dies könnte auch die Teheraner Hintersassen in Libanon, die schiitische Hisbollah-Miliz, schwächen. Zum anderen setzt Israel für die Zukunft auf eine Art Gleichgewicht des Schreckens: Wenn im Mittelmeer auf israelischer und libanesischer Seite zwei Förderanlagen in unmittelbarer Nähe aktiv sind, haben beide Seiten bei einer militärischen Auseinandersetzung gleich viel zu verlieren.

Darauf gründet sich die Einschätzung von Premier Lapid, dass dieses Abkommen die regionale Sicherheit verbessert. Das Alternativszenario hatte in den vergangenen Monaten Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah aufgezeigt mit Kriegsdrohungen und mit Drohnen, die von Israels Armee nahe des Karisch-Feldes abgeschossen wurden.

Dennoch ist das Abkommen in Israel nicht unumstritten. Zahlreiche Kommentatoren wiesen in den Medien auf einen "überhasteten Prozess" und auf vermeintlich zu große Zugeständnisse an Libanon hin. Und lauter noch als alle anderen trommelte wieder einmal Netanjahu, der vor "zig Milliarden Schekel" warnte, die durch dieses Abkommen direkt in die Taschen Nasrallahs fließen würden. Vor der Parlamentswahl am 1. November will er der Regierung keinesfalls einen Erfolg gönnen - und versucht deshalb, eine rasche Unterzeichnung zu verhindern. Ein Hebel dafür ist das Oberste Gericht, wo bereits mehrere Petitionen eingereicht wurden, das Abkommen zu stoppen.

Die Regierung dagegen versucht nun Tempo zu machen. Am Mittwoch stimmte das von Lapid eilig versammelte Sicherheitskabinett einer Unterzeichnung des Abkommens mit Libanon zu. Zugleich wurde in einem eher ungewöhnlichen Schritt mitten in den Ferien zum Laubhüttenfest die Knesset zu einer Sondersitzung einberufen. Die Opposition fordert vehement eine Abstimmung über das Abkommen mit Libanon. Nach Lesart der Regierung, die im Parlament keine Mehrheit mehr hat, sollen die Abgeordneten jedoch lediglich zwei Wochen Zeit bekommen, den Text zu sichten und - nicht bindende - Einwände zu formulieren.

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