Süddeutsche Zeitung

Israel:Der Härtetest

In den Koalitionsverhandlungen mit seinen radikalen und religiösen Partnern präsentiert sich Netanjahu als Garant für Demokratie und Stabilität. Jetzt muss er mit dieser Regierung nur noch das Land führen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Auf Israels politischer Bühne erleben die Bürger gerade einen neuen Benjamin Netanjahu. Nicht mehr den alten "König Bibi", der das Land für eine gefühlte Ewigkeit nach eigenem Gutdünken regiert hat. Nicht mehr den Scharfmacher und Trickser, der all seine Verbündeten und die Opponenten sowieso gegeneinander ausspielte. Das neue Stück könnte den Titel tragen: Bibi und die rechte Rasselbande - und Netanjahu tritt auf als der einzige verantwortungsvolle Erwachsene, der sich in den gerade laufenden Koalitionsverhandlungen als Garant für demokratische Werte präsentiert und seine ultranationalistischen und ultraorthodoxen Partner im Zaum zu halten verspricht.

Netanjahus Rollenspiel soll der Beruhigung dienen, nach innen wie nach außen, und dies ist dringend nötig. Denn in Wirklichkeit scheint er in den Verhandlungen eine Art Ausverkauf zu betreiben. Profitieren konnten davon zunächst einmal die drei Protagonisten der Wahlliste Religiöser Zionismus, die sich inzwischen im Parlament wieder in drei Fraktionen aufgespalten hat. Jeder von ihnen hat sich einen Posten gesichert, von dem aus er Israel nachhaltig verändern könnte.

Als Erstes soll die Gay-Pride-Parade in Jerusalem verboten werden

Da ist als politisch schwächster aus dem rechtsreligiösen Triumvirat zunächst einmal Avi Maoz von der homophoben und rassistischen Noam-Partei, für den Netanjahu im Premiersamt eigens einen Vizeministerposten geschaffen hat, zuständig für "Jüdische Identität". In seinen Verantwortungsbereich sollen auch Unterrichtsprogramme an Schulen fallen. In Interviews hat Maoz angekündigt, dass "als Erstes" die Jerusalemer Gay-Pride-Parade untersagt werden müsse. Er nennt sie eine "Parade der Abscheulichkeiten".

Seine Wunschposition hat sich Itamar Ben-Gvir von der Partei Jüdische Stärke gesichert. Als Minister für Nationale Sicherheit wird ihm nicht nur die Polizei unterstellt, sondern auch die Grenzpolizei-Truppe im besetzten Westjordanland. Eine erstaunliche Karriere ist dies für einen Mann, der in der Vergangenheit vor allem als Provokateur gegenüber den Palästinensern aufgefallen ist und der wegen Terrorunterstützung und Aufhetzung verurteilt wurde.

Als Dritter im Bunde hat Bezalel Smotrich von den Religiösen Zionisten sich zwar nicht wie gefordert das Verteidigungsministerium sichern können. Er soll nun Finanzminister werden - und trotzdem Zugriff im Verteidigungsministerium bekommen. Dort wird für seine Partei ein weiterer Ministerposten eingerichtet, der vor allem Zuständigkeiten im besetzten Westjordanland garantiert, zum Beispiel für die Zivilverwaltung und den Siedlungsbau. Die Kontrolle über die dort lebenden Palästinenser und israelischen Siedler liegt damit also künftig in Siedlerhand.

Je länger die Verhandlungen dauern, desto schriller werden die Stimmen

Inhaltlich geht es in den Koalitionsverhandlungen obendrein noch um den Umbau des Justizsystems, vorneweg um die Entmachtung des Obersten Gerichts, und um eine Stärkung der religiösen Instanzen. All das zusammengenommen sorgt außerhalb des künftigen Machtapparats für zunehmende Besorgnis - in Israel selbst und auch beim besten Verbündeten in den USA.

Je länger die Verhandlungen dauern, desto schriller werde die Stimmen. Der scheidende Übergangspremier Jair Lapid warnt: "Diese Regierung wurde demokratisch gewählt, aber sie will die Demokratie zerstören." Der Bürgermeister der liberalen Hochburg Tel Aviv, Ron Huldai, sieht Israel auf dem Weg "von der Demokratie zur Theokratie" und zieht Vergleiche zum Faschismus. Der frühere Generalstabschef Gadi Eisenkot kündigt schon einmal vorsorglich Massendemonstrationen mit Millionen Menschen an, falls die neue Regierung die Demokratie beschädige. Und aus Washington mahnt Außenminister Tony Blinken, "wir werden uns auch weiterhin unmissverständlich allen Handlungen entgegenstellen, die die Aussichten auf eine Zweistaatenlösung untergraben".

Netanjahu kontert dies mit einer Reihe von Interviews, in der er alle Befürchtungen zu zerstreuen sucht. "Israel wird künftig nicht nach den Talmud-Gesetzen regiert", sagt er da zum Beispiel, und natürlich werde die Jerusalemer Gay-Pride-Parade weiter stattfinden. Er verweist auf die Kräfteverhältnisse in der künftigen Regierung, in der sein Likud mit 32 Sitzen über genauso viele Mandate verfügt wie alle Koalitionspartner zusammen. "Es ist nicht so, dass wir uns ihnen anschließen", erklärt er. "Sie schließen sich uns an."

Wie schwierig das Ringen um die neue Regierung ist, belegt allerdings allein die Länge der Koalitionsverhandlungen. Die dafür vorgesehene Frist von 28 Tagen läuft am 11. Dezember aus, die Verlängerungsfrist betragt noch einmal 14 Tage. Danach muss die Regierung stehen - und der eigentliche Härtetest beginnt: Bibi und die rechte Rasselbande müssen zusammen das Land regieren.

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